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Liebe Hütchenspieler, kommt zurück!

Niemand will mehr Kuckucksuhren kaufen, Eisbein essen und schlechten deutschen Kaffee trinken. Nicht mal am Ku’damm, nicht mal die japanischen Touristen. Betrachtungen über einen Boulevard, der schon seit Jahrzehnten nicht sterben will

von ESTHER SLEVOGT

Im Moment macht alles zu am alten Kurfürstendamm. Das Kranzler, das Möhring, das Hardtke, der Eisbeinkönig in der Meinekestraße. Die Straße stirbt, schreiben die Zeitungen und schauen nach Osten in die Neue Mitte, ins Neue Berlin. Früher, da schaute alles nach Westen, eben direkt auf den Kurfürstendamm, der dabei so tat, als könnte man durch ihn bis London-Paris-New York gucken und nicht bloß bis Halensee. Und es sind jene, die bloß immer bis Halensee blickten und nie bis nach London-Paris-New York, die jetzt am lautesten schreien: „Der Ku’damm stirbt!“ und am liebsten all die heruntergewirtschafteten Läden, Cafés und Restaurants unter Denkmalschutz stellen würden.

Manchmal eröffnet auch etwas Neues am alten Kurfürstendamm. Das Restaurant „Eiffel“ letztes Wochenende etwa, das zur Feier des Tages zu Häppchen und Prosecco lud. Der Berlinredakteur, dem bestimmt der Kollwitzplatz näher ist als der Adenauerplatz, bestellt gleich einen kleinen szenischen Text über Betrachtungen zur Frage: Wird was aus dem Ku’damm oder nicht?

Da betrachtet man also die vielen Leute, die sich durchs „Eiffel“ drücken, klopft sie nach Szenen ab. Sieht dann den Filialleiter einer Ku’damm-Bank mit seiner leicht übergewichtigen Frau über den roten Teppich ins Lokal stolzieren. Sieht die bronzenen Gesichter der betuchten Stammgäste von „Electric Beach“ am Roseneck an den Goldknöpfen ihrer Kostüme zwirbeln und attraktive Mittvierzigerinnen ihre pastellbunten Pashmina-Schals um die superschlanken Körper raffen. Vereinzelt auch ein paar cool Gestylte, die im Gedränge umsonst nach den Propheten des Neuen Berlin Ausschau halten. Und ich werde meinem Redakteur wohl berichten müssen, dass vorläufig die Zukunft des Kurfüstendamms noch nicht von den Restaurants, die neu eröffnen, sondern von denen, die schließen, entschieden wird.

Hardtke in der Meinekestraße zum Beispiel. Da sitzen höchstens noch Amerikaner oder Japaner über Eisbein und Schlachteplatte, wie unsereins über Sushi und Sashimi, und denken: So essen die Deutschen. Und wenn der Oberkellner in SA-Uniform servieren würde, wäre dieses Deutschenbild so richtig rund. Vor ein paar Jahren konnte man dann noch gegenüber zu „Mitsukoshi“ gehen und passend zu diesem Deutschlandbild Bierseidel, Kuckucksuhren und Fahrtenmesser kaufen. Aber soviel Japaner konnten gar nicht nach Berlin kommen, um dieses Kaufhaus am Leben zu erhalten. Nach knapp zwei Jahren war es wieder zu. Die Leute wollen keine Kuckucksuhren mehr kaufen. Sie wollen auch kein Eisbein mehr essen und keinen schlechten deutschen Kaffee trinken.

Da hilft auch kein Denkmalschutz. Freundin M., die früher ein kleines Restaurant in Kudammnähe besaß, philosophiert gerne über die entnazifizierende Wirkung von Pizza und Cappucino und findet, der erste Italiener in Berlin habe längst das Bundesverdienstkreuz verdient.

Ins Kranzler wäre ich noch nicht mal mit meiner Oma gegangen. Schlechter Kuchen, schlechter Service, viel zu teuer, und dazu eine bedrückende Piefigkeit. Jetzt ist es erstmal zu, und die Westberliner sind geschockt, als hätte man das KaDeWe abgerissen. Dabei macht das Kranzler bald wieder auf. Der neue Betreiber trommelt schon. Verspricht mehr Plätze und mehr Qualität, kurz: Es kann nur besser werden. Aber der Mief ist manchem heilig. Und die glitzernde Eleganz von Helmut Jahns Neuem Kranzler-Eck, das dahinter in die Höhe wächst, ein Dorn im Auge.

Schon einmal war das Kranzler zu, Mitte der Achtzigerjahre. Damals war es kurz davor, Kultstatus zu erreichen mit seinem schrägen Fifties-Interieur. Dann kam eine Schweizer Firma names Merkur III, riss alles raus und installierte den mediokren Kaffeehaus-Plüsch, der bis zuletzt das Bild des Kranzler prägte.

Oder die heruntergekommene Filmbühne Wien: Da ging man bloß noch hin, wenn’s gar nicht anders ging. Drinnen war es ungepflegt, beim Rauskommen stank es beißend nach Urin. Kein Wunder, dass die Leute lieber in die schönen neuen Kinos am Potsdamer Platz gegangen sind. Das Weinen über das Kinosterben am Ku’damm gab es auch schon mal, Ende der Siebzigerjahre, als Ecke Bleibtreustraße der alte MGM-Palast für einen Neubau abgerissen wurde.

Überhaupt geht es mit dem Ku’damm bergab, zumindest solange ich ihn kenne. Besorgte Zeitgenossen bescheinigten dieser Straße schon vor zwanzig Jahren, nun sei es aus mit ihr. Erst waren die Pornokinos und Bordelle schuld, dann die Bekleidungsketten und McDonald’s, später die Hütchenspieler, die inzwischen auch wieder verschwunden sind. Das Kranzler zu, das Möhring dicht und auch keine Hütchenspieler mehr! Jetzt jammern dieselben Leute: Wenn die Hütchenspieler nicht mehr kommen, dann ist der Ku’damm wirklich tot!

Dabei ist der Kurfürstendamm immer schöner geworden. Das Neue Kranzler-Eck ist fast fertig. Gegenüber ist das hässliche Ku’dammeck abgerissen worden. Weiter oben, zwischen Wielandstraße und Olivaer Platz: internationale Luxuslabels, die hier Läden mit echten Kunden haben, und nicht bloß Potemkinsche Luxusdörfer wie an der Friedrichstraße. Denn wer Geld hat, der redet zwar von der Neuen Mitte, lebt aber doch hier im alten Westen. Früher gab es drei, vier Läden, die ein bisschen internationale Designer-Mode führten. Inzischen hat fast jeder wichtige Designer am Ku’damm eine Niederlassung. Endlich also wirklich London-Paris-New York, dazu ein Hauch von Mailand und Moskau. Den alten Läden geht es schlecht, weil sie Hermès, Chanel oder Versace losgeworden sind und die dazugehörigen Kunden auch. Aber soll man sie deshalb jetzt subventionieren?

Eine baumlose Wüste, spießig, miefig und kaputt wie die Gedächtniskirche war der Kudamm, als ich ihn kennen lernte, Ende der 70er. Nichts mehr zu merken vom Bohème-Geist aus der Zeit vor dem Krieg, von dem uns die Lehrerin erzählt hatte. Es war das arisierte Restberlin, das hier auf Weltstadt machte. Später, als ich schon längst hier lebte, spazierte ich oft mit Freundin M., einer Spezialistin in Fragen der Arisierung, an den Schaufenstern vorbei. „Hier“, sagte sie, und zeigte auf einen der wenigen Luxuskleiderläden, „der ging aus dem Modehaus Gerson hervor“.

Am Kempinski hängt ja inzwischen eine Tafel, die von der jüdischen Gründerfamilie spricht. Erst ziemlich hoch, damit sie bloß keiner lesen konnte. Inzwischen aber doch in relativer Augenhöhe. Auch ein bekanntes Geschäft für teure Haushaltstextilien, für die sich irgendwann niemand mehr erwärmen wollte, weswegen der Laden schließen musste, hatte Voreigentümer, die Grünberg hießen.

Das arisierte Berlin stirbt aus und mit ihm die Atmosphäre, in der noch Königinpastete und Erdbeertorte im Café Möhring schmeckten. Aber der Ku’damm stirbt nicht mit. In ein paar Jahren ist er so schön wie der Boulevard Saint Germain in Paris. Oder schöner. Wenn nicht die Charlottenburger Lokalpolitik mit den alten Häusern auch den alten Mief unter Denkmalschutz stellt.

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