: Popreligiosität: Messdiener & Co
Einer der erfolgreichsten Teilzeitprediger im deutschen Musikgeschäft ist derzeit Xavier Naidoo. Der Mannheimer Rapper wurde von Gottvater Moses Pelham groß rausgebracht und besingt seitdem mit Verve seine Liebe zu Gott: „Deinen Namen trägt mein Herz, dein Fehlen ist mein Schmerz, So rein zu sein wie du, zeig, wie ich das tu“ (aus dem Stück „Führ mich ans Licht). Angefangen hat das alles schon in frühester Kindheit: Seine ersten musikalischen Erfahrungen sammelte Naidoo als Sternsinger und Messdiener. Mittlerweile haben sogar Schulen seine messianisch vergeistigte Lyrik in den Lehrplan aufgenommen. Analysieren Sie: „So viele Nächte lag ich wach, meine Augen rot vom Weinen im Schlaf, den Kelch mit Tränen aufgefüllt, meine Wunden ins Leintuch eingehüllt“ („Nicht von dieser Welt“).
Naidoos Kollegin Sabrina Setlur, ebenfalls aus der Pelham-Gemeinde, schreibt auch manchmal aus der Bibel ab: „Ich will sehen, wie kein Schaden gestiftet wird noch irgendwie Verderben auf seinem ganzen heiligen Berg, das will ich sehen – a“ („Das will ich sehen – a“ heißt auch der Song).
Marius Müller-Westernhagen ist der Meinung, dass Gott Energie sei. In einem Amica-Interview versicherte er, dass sein Song „Jesus“ zwar zynisch erscheine, aber keinesfalls blasphemisch gemeint sei: „Ich bin sehr gläubig, auch aufgrund spiritueller Erfahrungen.“ Ähnlich Naidoo hat Westernhagen seine ersten Berührungen mit dem Showbusiness in der katholischen Kirche gehabt: als Messdiener. Das prägt anscheinend.
Bis heute nicht nur in Kifferkreisen beliebt ist das Album „666“ der Gruppe Aphrodites Child. 1973 war auch schon Weltuntergangsstimmung: In dem Doppelalbum ist die komplette Offenbarung des Johannes, die Apokalypse, vertont. Unvergessen bleibt der Sänger der Gruppe,Demis Roussos, der mit den „Four Horsemen“ die apokalyptischen Reiter besingt.
Die Rocksängerin Inga Rumpf ist seit letztem Jahr nicht nur im Namen des Herrn unterwegs, sondern wird auch noch von den beiden großen deutschen Kirchen gesponsert: Die frühere Frumpy-Frontfrau dichtete die Seligpreisungen der Bergpredigt um zu einer Hymne mit dem Titel „Walking in the Light“. Mit dieser und anderen religiös unterfütterten Kompositionen tourte sie durch siebzig Gotteshäuser. In Auftrag gegeben wurde das Konzept, das mit 15 Auftritten im Christus Pavillon auf der Expo gipfeln wird, von der evangelischen und der katholischen Kirche. Der Spiegel stellte fest, dass diese damit erstmals gemeinsam einen festen Pakt mit dem Pop eingegangen sind. Spirituell auffällig wurde Inga Rumpf erstmals, als sie sich in den Achtzigern dem Blues, Soul und Gospel widmete. Hervorgetan hat sie sich auch durch gemeinsames Musizieren mit Biker-Jungs, und zwar bei den Hamburger Motorradgottesdiensten am Michel.
Ein spirituelles Phänomen anderer Art meinen Soziologen ausgemacht zu haben: das der Popreligiösität. Als Ausdruck „synekretistischen, individualistischen und institutionsfernen Glaubenslebens“ (B. Schwarze, „Die Religion der Rock- und Popmusik“, Stuttgart 1997). Dass die Beatles bekannter als Jesus seien, hatte John Lennon ja bereits 1966 behauptet, am Ende des Jahrtausends kam dann Guildo Horn: Der „Meister“ trat einen „Kreuzzug für die Zärtlichkeit“ an, legte in der Trierer Fußgängerzone Menschen die Hand auf und feierte bei seinen Konzerten das Abendmahl, mit Nussecken. Die Presse sekundierte mit Lobpreisungen wie „Wunder von der Mosel“ (Wom Journal) und „Schlagerapostel“ (Focus). Der Medienpsychologe Peter Winterhoff-Spurk konstatierte, dass der selbsternannte Kreuzritter an die religiösen Orientierungssüchte und Gefühlslagen seines Publikums anknüpfe. Die scheinen sich allerdings momentan andere Ventile gesucht zu haben.
MARTIN REICHERT
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