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„Für Wagner braucht man erhöhtes Bewusstsein“

Interview SABINE ZURMÜHL

taz: Sie haben früher kein gutes Haar an den Bayreuther Festspielen gelassen, jetzt wollen Sie sie übernehmen. Was ist da persönlich bei Ihnen passiert?

Nike Wagner: In Bayreuth dominiert längst die möglichst „reibungslose“ Verwaltung von Kunst, das Wagner-Abwickeln. Bayreuth lebt von seiner Selbstausbeutung. Ich kritisiere diese konzeptuelle Alterserscheinung nun seit genau sieben Jahren. Nur der hypnotischen Kraft des Wagnertheaters selbst, seiner Mauern, seiner Geschichte ist es zu danken, dass diese Mängel schlecht und recht überdeckt werden konnten.

Ob obendrein etwas „persönlich“ passiert ist? Ich habe einen Musikmenschen geheiratet, meine Tochter großgezogen und viele Texte – vor allem über Wagner – geschrieben. Währenddessen ist auch die Wut gewachsen. Wut über den bewusst sabotierten Generationenwechsel in Bayreuth, über das Herunterkommen eines Erbes, wo nur noch auf Macht- und Postenerhalt gespielt wird. Zugleich wuchs die Lust auf Verantwortung, wuchs die Verpflichtung der eigenen Person und Vergangenheit gegenüber. Sehen Sie da Widersprüche?

Auch für Sie soll es das Wagner-Blut sein, wenn es um die Nachfolge in Bayreuth geht. Gralsblut und Wälsungenblut. Was ist das mit dem Blut?

Wenn ich mich steche, fließt mein Blut. Zugleich aber fließt das meiner Geschwister, meiner Eltern, meiner Ahnen mit, der ganze alte Saft. Realität und Fiktion gehen im Blut-Bild seltsam ineinander über. Diese Doppelbestimmung ist mystifikatorisch genug, dazu braucht es die sakrale Note nicht, keinen Gral: im Sammelbecken steht und stagniert das Blut, wird braun und stockig, statt zu steigen, zu fallen, zu kreisen, zu fließen.

Kann man als Tochter Wieland Wagners, aufgewachsen in unvermeidlicher und engster Verbindung zum Werk des Urgroßvaters Richard, dieses Werk noch lieben?

Liebe, Liebe, Liebe . . . wir sind doch nicht in der heimgesuchten Zeit um 1900, als Wagner noch libidinöses Ventil war. Wagner hat man zu kennen, und wenn man ihn kennt, wird man ihn bewundern, sich hinreißen lassen von dem Welttheatermann, der archaische Gefühle und Verhältnisse aufzureißen versteht. Wagner aber ist immer mehr als ein Musiker, und das Gewicht der Geschichte hängt an ihm, für Wagner braucht man Doppelstrategien, erhöhtes Bewusstsein. Nur aus einer solchen Disposition heraus können Sie ein Wagnertheater überhaupt leiten.

Sie haben sich mit Elmar Weingarten, derzeit Intendant der Berliner Philharmoniker, um die Leitung Bayreuths beworben. Wie soll die Arbeitsteilung zwischen Ihnen sein?

Die Arbeitsteilung ist ziemlich einfach. Während ich in der Musik und den Geisteswissenschaften zu Hause bin, hat Elmar Weingarten Festivals geleitet, seit 1996 leitet er mit den Berliner Philharmonikern ein Haus mit einem 40-Millionen-Mark-Etat. Weingarten hat vielseitige praktische Erfahrung, dazu kommt seine wunderbare künstlerische Sensibilität und seine musikalische Kennerschaft. Deshalb des Doppel-„W“: Wagner und Weingarten. Für die künstlerische Gesamtleitung sind wir beide verantwortlich.

Würden Sie auch mit Ihrer verwandten Mitbewerberin und Cousine Eva Wagner-Pasquier eine Zusammenarbeit suchen?

Das Schöne an den Kusinen Eva und Nike ist, dass sie gleichaltrig und beide Pappis Lieblingstöchter gewesen sind. Doch Vorsicht, wie heißt es bei Rilke ? „Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang“. Wir sind nach Talenten und Metier sehr verschieden. Ich fand immer, das wäre eine gute Ausgangsbasis, und finde das auch weiterhin, bin immer auf sie zugegangen. Leider ergebnislos.

Was würden Sie für die zukünftige finanzielle Absicherung der Festspiele tun, die letztes Jahr – wieder einmal – in Gefahr schien?

Elmer Weingarten und ich haben durchgerechnet, dass sich die angekündigten Kürzungen durch eine Neustrukturierung der Eintrittspreise auffangen lassen. Die Kartenpreise würden sukzessive nach dem Prinzip erhöht: Wie kann man „nach oben“ stärker abschöpfen, um die Preise „nach unten“ stabil zu halten? Sponsoren würden nur für die Projekte außerhalb der Festspielbühne gesucht.

Wieviel Warte-, ja Blockierungszeit werden Sie in Kauf nehmen, falls die Wahl auf Sie fällt, Ihr Onkel aber weiter rüstig zumindest den „Ring“ 2006 ansteuert?

Die „Prinz-Charles-Warteschleife“. . . Eigentlich habe ich wenig Probleme damit. Ich lebe und arbeite wie bisher, sammle weiter Erfahrungen mit Wagner, mit dem neuen Musiktheater, mit der Kunst, mit der Gesellschaft. Es tut mir nur leid, dass der Abgang meines Onkels sich unwürdig gestaltet, dass er die Chance, in die Rolle der gütigen, von allen geliebten grauen Eminenz zu schlüpfen, verspielt. Damit rücken auch seine bisherigen Verdienste in ein anderes Licht.

Wie sehen Sie sich in der historischen Reihe der verwaltenden Wagner-Frauen Cosima und Friedelind, beide berühmt für Durchsetzungskraft, Dogma und Dickköpfigkeit?

Hier erliegen Sie dem Zauber der Alliteration, des dreifachen „D“. Durchsetzungskraft und Dogma mag für Cosima gelten, Dickköpfigkeit für Friedelind. Friedelind bekam nie etwas zu „verwalten“, Cosima dagegen sehr viel. Friedelind zahlte den Preis für ihre politische Emigration, die innere und äußere Ortlosigkeit; war dafür aber witzig, großzügig und unkonventionell.

Cosima dagegen wusste aus ihrem Emigrantenschicksal das Äußerste herauszuholen – landete aber eben in der Überidentifikation mit Wagner und dem Deutschen.

Wo ich bin? Welches „D“ für mich gilt? Dünn bin ich, ja, von dünner Haut, und emigriert wohl auch, ich habe sehr viel, fast ausschließlich im Ausland gelebt. Von den anderen historischen Stigmata weiß ich nichts, an irgendwelchen Wiederholungsmustern habe ich sicherlich teil, der nächste Historiograph der Familie möge sie herausfinden.

Im „Ring des Nibelungen“ lautet der Auftrag Alberichs an seinen Sohn Hagen: „Sei treu !“ Welchen Auftrag haben Sie von der Wagner-Sippe mitbekommen?

Es gab nie einen „Auftrag“. Jeder wurstelte vor sich hin, ging seinen Interessen nach, bis sich herausstellte, dass die heimlichen Steuerungen, die unbewussten Delegationen, doch funktionierten. Die Bilder, die die Familie projizierte, waren ja sehr ambivalent: das Wagnersche Erbe vielleicht nur ein Kreuz und eine Last? Die Großmutter eisern, der Vater unfroh, die Mutter hochdramatisch, der Onkel undurchsichtig, eine Tante rebellisch, die andere ironisch . . . Meine Bindung an die „Sippe“ ging durch viele Filterungen, ging weite Umwege, geistig und geographisch, um dann ihre eigenen Energien zu entdecken. Der Weg entsteht beim Gehen. Das Ziel auch.

Zitate:

WAGNERS ERBE I

„Wagner hat man zu kennen, und wenn man ihn kennt, wird man sich hinreißen lassen.“

WAGNERS ERBE II

„Die Großmutter eisern, der Vater unfroh, die Mutter hoch dramatisch, der Onkel undurchsichtig.“

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