Clinton jetzt als Türöffner

Zur Verleihung des Karlspreises fordert der scheidende US-Präsident: „Türen auf für Russland!“ Der russische Präsident Putin schlägt den USA den gemeinsamen Bau eines Raketenschirms vor

BERLIN dpa/taz ■ Wenn US-Präsident Bill Clinton heute Abend in Moskau einfliegt, wird er dort sicherlich auf einen gut aufgelegten Gastgeber Wladimir Putin treffen. Denn weit hat Clinton gestern die Arme gen Russland geöffnet. „Es dürfen Russland gegenüber keine Türen geschlossen werden – nicht die Nato-Türen, nicht die EU-Türen“, sagte Clinton in Aachen, wo er für seine Verdienste um Europa den Karlspreis verliehen bekam.

Von „Partnerschaft“ mit Russland war die Rede, natürlich von der dazu notwendigen Stabilität und Demokratie. Obgleich „wir nicht wissen, ob die demokratischen Freiheiten, die in Russland errungen worden sind, von Bestand sein werden“, gebe es „Grund zur Hoffnung“, sagte Clinton. Es dürfe deshalb keine „schädliche Konkurrenz zwischen Russland und dem Rest“ geben. Sonst bleibe die Vision eines „ungeteilten Kontinents“ unvollständig. Genauer wurde Clinton an dieser Stelle nicht: Von einer möglichen Aufnahme in die EU sprach er nicht. Er begrüßte die „Entscheidung der EU, die Türkei als wirklichen Kandidaten für die Mitgliedschaft zu behandeln“. Gleiches wünschte er auch den südosteuropäischen Staaten: „Unser Ziel muss sein, den Balkan zu entbalkanisieren“, sagte er und forderte eine engere Zusammenarbeit mit der serbischen Opposition.

In seiner Laudatio hatte Kanzler Gerhard Schröder Clinton für sein Interesse an Europa auch nach dem Ende des Kalten Krieges gelobt. „Bill, mit deinem Engagement bist du ein wahrhaftiger Europäer geworden“, rief er dem US-Präsidenten zu.

Diese Stunde der Visionen und Ideen nutzte der russische Präsident Wladimir Putin gestern in Moskau dazu, einen Vorschlag zur Lösung des gegenwärtigen Rüstungsstreits zwischen den USA und Russland zu machen. Denn ein Thema, das Clinton in seiner Rede allerdings nicht direkt berührte, steht derzeit zwischen Clinton und Europa wie Russland: das geplante Nationale Raketenabwehrprogramm (National Missile Defense, NMD) der USA. Putin erklärte in einem Interview mit dem US-amerikanischen Fernsehsender NBC, die USA und Russland könnten doch gemeinsam an dem Raketenabwehrschirm bauen, der dann „auch den Verbündeten in Europa“ zugute kommen solle. Vereint könne man sich dann vor „Schurkenstaaten“, wie Nordkorea, Iran und Irak schützen. Clinton, der die NMD-Technik zuvor auch schon der EU und anderen „zivilisierten Nationen“ angeboten hatte, wird heute in Moskau darüber Auskunft geben müssen, ob er darunter auch Russland versteht.

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