: In Fußfesseln zum Flugzeug
Ein 24-jähriger Tunesier soll bei fünf versuchten Abschiebungen misshandelt worden sein. Das Mitglied einer islamischen Oppositionspartei hat bereits einen Selbstmordversuch begangen
von JULIA NAUMANN
Die Beamten kamen immer mittwochs und freitags und holten Atef B. aus der Zelle, um ihn abzuschieben. Ingesamt fünf Mal. Doch der 24-Jährige Tunesier wehrte sich so sehr, dass er jedes Mal zurück in das Abschiebegefängnis Grünau gebracht werden musste. Die Flugkapitäne weigerten sich, den Mann zu transportieren, weil sie um die Sicherheit der Flüge fürchteten.
Bei dem vorerst letzten Abschiebeversuch in der vergangenen Woche soll er nach Aussagen seiner Verwandten und eines katholischen Geistlichen, der den Abschiebehäftling betreut, von den Polizeibeamten stark misshandelt worden sein. „Er hat Blutergüsse am Kopf und im Bauchbereich und Hautabschürfungen an den Beinen erlitten, weil ihm Fußfesseln angelegt wurden“, hat sein Cousin Erfan Sherif erfahren. Bei einem früheren Abschiebeversuch sei er beim Transport zum Flughafen auf eine Bahre geschnallt worden. Ein anderes Mal sollen Polizeibeamte ihm einen nassen Lappen den Mund zugehalten haben, damit er nicht schreien konnte. Er sei als „Arschloch“ und „Scheiß-Islamist“ beschimpft worden.
Der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Hartwig Berger, forderte am Wochenende die sofortige Freilassung und Duldung des 24-jährigen Tunesiers. Atef B. habe „panische Angst“ nach Tunesien zurückzumüssen. Er sei Mitglied der verbotenen islamischen Oppositionspartei Nahda und habe wegen Verteilens von Propagandamaterial im Gefängnis gesessen. Sein Cousin erklärte gegenüber der taz, dass Atef B. in der vergangenen Woche von einem tunesischen Gericht zu 15 Jahren Haft verurteilt worden ist.
Atef B. kam 1998 nach Deutschland. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Im Abschiebegefängnis schnitt er sich die Pulsadern auf. Der Polizeiärztliche Dienst diagnostizierte anschließend schwere Depressionen. Diese seien jedoch medikamentös behandelbar und machten ihn nicht haft- oder reiseunfähig. Atef B. trat nach Angaben seines Cousins mehrere Male in einen Hunger- und Durststreik, um auf seine Situation aufmerksam zu machen. Atef B. hat vier Onkel in Berlin, die deutsche Staatsbürger sind. Sie erklärten sich bereit, ihn im Falle einer Freilassung finanziell zu unterstützen.
Misshandlungen in der Abschiebehaft sind laut Berger keine Seltenheit. Er will wegen der Zustände in den beiden Abschiebegefängnissen jetzt den Bundestagsausschuss für Menschenrechte einschalten. Die Zahl derer, die ein Jahr und länger in Abschiebegewahrsam verbringen, nehme zu. Ein Freiheitsentzug dürfe nur unmittelbar vor der Abschiebung erfolgen.
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