: 176 Kacheln an der Zellenwand
Fußballfan Klaus fällt durch den Alkoholtest und verpasst die dritte Station der großen DFB-Exhibition-Tour
NÜRNBERG taz ■ Nichts zu merken vom Länderspiel am Nachmittag in der Stadt, keine Fans, keine Gesänge. Ist das Datum falsch? Fällt der „Härtetest“ (Ribbeck) aus? Beim „superlangen Samstag“ shoppt sich Nürnberg lieber bis 20 Uhr durch die Hitze eines Stadtfests. Klaus (Name geändert) trinkt sich währenddessen Richtung Frankenstadion. Er ist aus Berlin unterwegs.
Der Wanderzirkus Nationalelf auf Exhibition-Tour: München (Loddas Abschiedsspiel) – Mallorca (gegen Mallorca) – Nürnberg (Tschechien) – Freiburg (Liechtenstein) – Hol/Bel (EM-Turnier). Das Stadion ist schließlich, je nach Sichtweise, ziemlich genau halbleer oder halbvoll. 30.000 sollen es gewesen sein. Als die Durchsage kam, grinsten viele über die freche Aufrundung um mindestens 20 Prozent. Wenn man noch die rund tausend Tschechen abzieht und die Freikarten, haben vielleicht 20.000 Menschen Eintritt gezahlt, um den Europameister im Weichen stellenden Testspiel zu sehen. Viel ist das wahrlich nicht. Immerhin kaufen die National-Fans vor dem Stadion Schals mit erfrischend zeitgemäßem Aufdruck: „Keiner mag uns – DEUTSCHLAND – Scheißegal“.
Allerdings muss man noch Klaus dazuzählen. Der hatte auch 30 Mark für den Sitzplatz gezahlt. Klaus, der einen friedlichen, nicht hoolhaften Eindruck macht, war aber am Eingang bierselig in eine Alkoholkontrolle geraten: 1,7 Promille. Weil Betrunkene imageschädigend sind (WM-Bewerbung 2006!), kam er erst in Handschellen und dann in die Zelle. „Eine Stunde nach dem Spiel haben sie mich erst rausgelassen. Nichts gesehen vom Spiel. Nur die Kacheln gezählt: 176 Stück an der Stirnwand. Die auf dem Boden konnte ich nicht zählen, da liefen immer die anderen herum.“ Die anderen Alkohol-Kläuse.
Ein teurer Wochenendausflug. Außer Eintritt und Dosenbier über 400 Mark für die Zugfahrt im ICE. Groß geplant hatte er nichts. „Fährt jetzt noch ein Zug nach Berlin?“, fragt er am Bahnhof. Um halb drei, der Nachtzug. Gut vier Stunden Zeit zum Bahnschwellen oder Verspätungen zählen. „Die haben mir sogar die Karte abgenommen“, schimpft er, „die hätte ich doch noch von der Steuer absetzen können. Aber egal. 3:2. Hauptsache gewonnen.“ Das sind wahre Fans. Und die sperrt man weg. Ein Skandal. MÜLL
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