historischer countdown zur fußball-em (teil 1): Ulama: Das religiöse Ballspiel der Maya
Erst rollen Bälle, dann die Köpfe
„Modern ist, wenn man gewinnt.“ (Horst Hrubesch)
Hunahpú und Xbalanqué, die göttlichen Zwillinge, treten zum Kampf an gegen die Fürsten der Unterwelt. Nicht mit dem Schwert, nicht mit Axt oder Keule wird der Sieg der Gottheiten errungen, sondern mit einem Ball. So berichtet es das Popol Vuh, die heilige Schrift der Maya. Neben dem Bau von Pyramiden, der Benutzung gemeinsamer Kalender und Schriften, neben dem Brauen des bierähnlichen Pulque und dem Backen von Tortillas ist das Ballspiel Ulama eines der verbindenden Elemente mittelamerikanischer Hochkulturen zwischen 1500 v. und 1500 n. Chr.
Zur frühesten Beute, die die Conquistadores im Jahre 1528 an den spanischen Hof brachten, gehörte eine Gruppe von Ballspielern, die ihr vielbestauntes Spielgerät mit sich führte: Während man in Europa beim Ballspiel Füße und Hände gebrauchte, um haar-, stroh- oder luftgefüllte Schweinsblasen in Bewegung zu setzen, spielten sich die Eingeborenen ihren schweren Vollkautschukball mit Brust und Schultern, mit der Hüfte und dem Gesäß zu. Sie benutzten dabei Schutzleder an Knieen, Händen und Hinterteil und trugen Joche um die Hüften, in denen Palmas und Hachas genannte Verzierungen steckten. Die Vielzahl erhaltener Ritualgegenstände und Abbildungen belegen noch heute die bedeutende Stellung, die Ulama innerhalb der mittelamerikanischen Kulturen zukam.
Die mehr als 480 bekannten Tlachco genannten Spielplätze hatten eine längliche Form, waren an den Längsseiten durch Mauern oder Erdwälle begrenzt und an den Stirnseiten oft verbreitert. Sie maßen zwischen 17x6,5 m und 150x75 m. Auf ihnen standen sich durch eine Mittellinie getrennt zwei Teams gegenüber.
Wenngleich über die genauen Regeln wenig bekannt ist, dürfte jene Mannschaft den Sieg davongetragen haben, die den Ball in einen der seitlich platzierten Marksteine spielte oder deren Gegner den Ball zu Boden fallen ließen. Es war wohl kaum das durch die Hüftbewegungen gestörte ästhetische Empfinden, das die Spanier bald trieb, Ulama in den besetzten Regionen der Neuen Welt zu verbieten. Vielmehr dürfte die religiöse Bedeutung, die mit dem Spiel verbunden war, den Ausschlag zu dieser Entscheidung gegeben haben. Die Namen der Mittellinie, „Tlecotl“, und der Bereiche, in denen sich die Spieler aufhielten, „Analco“, verweisen im Nahuatl, der Sprache der Azteken, auf die Elemente Feuer und Wasser.
Ulama war Bestandteil eines Fruchtbarkeitsrituals. Auf die Plätze, auf denen es vermutlich zu Beginn des Frühlings und des Herbstes gespielt wurde, wurde schätzungsweise Wasser und Saatgut verteilt, um göttlichen Beistand für eine reiche Ernte zu gewinnen. Zudem stand Ulama in engem Zusammenhang mit rituellen Enthauptungen. Bei den Ausgrabungen der Spielfelder finden sich immer wieder ballförmige Totenschädel aus Stein, die die Analogie zwischen Spielgerät und abgeschlagenem Haupt deutlich machen. Vielleicht waren diese Steinschädel während des Spiels als „Erinnerung“ für die Spieler um das Spielfeld gruppiert. Denn dass die Enthauptungen keineswegs bei Fremden oder Gefangenen vorgenommen wurden, sondern bei den Spielern selbst, die aus der eigenen Gesellschaft stammten, belegen Abbildungen auf Monumentalstelen. Wiederkehrendes Motiv dieser Stelen ist die Abbildung kopfloser Männergestalten in Spielertracht, aus deren Hälsen als Schlangen stilisierte Blutströme sprießen.
Ulama symbolisierte so den Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Tag und Nacht, zwischen dem Göttlichen und der Unterwelt. Die heute bei Ballspielen gebräuchliche Wendung, ein Spiel kopflos zu verlieren, gewann hier ihre wörtliche Bedeutung. STEFAN JORDAN
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