Schnitt ins Publikum

Klatschvieh macht auch Mist: Castingfirmen wie „TV Ticket“ haben sich darauf spezialisiert, Talkshows mit Studiozuschauern zu versorgen

von JENNI ZYLKA

Wer sich im Kabarett oder bei einer Comedy-Show ganz nach vorne setzt, ist selbst schuld. Vorne wird man angesprochen, veräppelt, bespuckt oder, im schlimmsten Fall, zum Mitmachen auf die Bühne geholt.

Im Fernsehen ist das nicht anders. Wer dort – auch bei den Privaten – in der ersten Reihe sitzt, der kommt vielleicht sogar groß ins Bild. „Schnitt ins Publikum“ nennt das der Regisseur und schneidet besonders gerne die Köpfe von jungen Frauen zwischen die sich anschreienden Talkshow-Gäste, die lamentierenden Politikergesichter oder in die Aufzeichung einer Game-Show hinein.

Gäste anschaffen ist ein lukratives Geschäft

Manche Leute finden das ziemlich toll und möchten darum auch mal live auf Sendung oder zumindest bei einer Aufzeichnung dabei sein. Sie melden sich über das Internet, rufen in den Redaktionen an und kaufen sich zum Beispiel eine Eintrittskarte für „TV Total“ (30 Mark, Aufzeichnung in Köln), „Sabine Christiansen“ (15 Mark, Live-Sendung in Berlin) oder „Die Stunde der Wahrheit“ (10 Mark, Aufzeichnung in Potsdam).

Aber ausverkauft sind die Polit-Talk-Infotainment- und Game-Magazine, selbst die Quotenstars, meist nicht. Damit also Stefan Raab, Sabine Christiansen und Christian Clerici nicht vor halb gefüllten Sälen moderieren müssen, werden Agenturen beauftragt, die übrigen Gäste für die Shows ranzuschaffen. „TV Ticket“ ist eine der größten und ältesten Einlade-Firmen.

Akquiriert wird in der Disco oder auf der Straße

Seit 1992 sitzt das 10-Mann-Unternehmen (plus diverse freie Mitarbeiter) am Zipfel des Kölner TV-Hollywood-Gebiets Hürth, in Sichtweite der „Big Brother“-Kaserne, gleich neben Endemol und Hans Meisers „Crea-TV“. Mit der Gastbeschaffung für Meisers Talkshow hatte man damals auch angefangen, in den Hoch-Zeiten der Quasselsendungen, als „Christen“ und „Meiser“ noch regierten.

„Hans Meiser“ wird jetzt vom Konkurrenz-Unternehmen „Mediabolo“, ebenfalls in Köln ansässig, bezuschauert, „TV Ticket“ karrt heute im Talksegment Neugierige nur noch zu „Peter Imhof“. Ansonsten werden eher Game- und „Gerichtsshows“, Polittalks und Comedy-Formate mit lebendigem Zuschauermaterial beliefert. Und zwar nach dem Rattenfängerprinzip: Die Akquise findet größtenteils auf offener Straße statt, manchmal auch bei Großveranstaltungen, in Discos und wo sonst noch willige KonsumentInnen zu finden sein könnten.

Einladungen gelten als passiver Kartenverkauf

Die „TV Ticket“-MitarbeiterInnen legen den zukünftigen Gästen eine Produktionsübersicht mit allen Sendungen samt Aufzeichnungszeit und -ort vor, fragen die relevante Zielgruppe (bei Daily Talks die 18–35-Jährigen) nach Moderator, Sendung und Interesse an den Themen, und dann können sich die glücklichen Opfer aussuchen, in wessen Sendung sie herumsitzen wollen. Im Gegensatz zum „aktiven Kartenverkauf“, wie der Chef von „TV Ticket“, Ulrich Corsten, erklärt, dürfen sich die Angesprochenen eingeladen fühlen. „Passiver Kartenverkauf“ heißt das dann und teilt das Publikum schon mal in eine Zweiklassengesellschaft.Während also manche 28 Mark für die „Wochenshow“ hingeblättert haben, können sich durchaus direkt daneben eingeladene Gäste über ein kostenloses Vergnügen freuen.

An den Eintrittspreisen der Shows lässt sich zudem eine kleine Quotenhitparade ablesen: Die teuerste Sendung, jedenfalls bei „TV Ticket“, ist Stefan Raabs „TV Total“ auf Pro 7. Und bei „Echt scharf!“ auf Vox darf man umsonst im Publikum hocken. Trotz Befragung und „Briefing“ durch die AkquisiteurInnen kommt es immer wieder vor, dass TV-Show-Fans nicht wissen, wem sie da gerade Beifall klatschen.

Der „Warm-Upper“ animiert zum Klatschen

So wissen gerade Publikums-Gäste der öffentlich-rechtlichen Polittalks manchmal gar nicht genau, ob denn nun Sabine Christiansen oder Arabella „Ihre Gastgeberin und Moderatorin“ sein wird. Aber diese Information verbrät spätestens der Warm-Upper in seinem Show-Auftakt, der die Stimmung, vor allem bei Live-Sendungen, heben soll und es manchmal sogar auch tut. Außerdem muss er die Verhaltensmaßregeln für die Shows erklären, denn das ist nicht mehr Sache der Ticket-Service-Firmen: Ihre Zuständigkeit endet mit der Akquise und nachdem die reizenden „Hostessen“ die Gäste zu ihren Plätzen begleitet haben.

Allein RTL nahm einige TalkerInnen aus dem Programm und müht sich mit Sendeplatz-Rochaden um mehr Aufmerksamkeit. Müssen die Firmen im Zuge des sinkenden Talkshows-Sterns eigentlich um ihre Jobs bangen?

„Nein“, behauptet Ulrich Corsten lakonisch, denn „wenn der Daily Talk geht, wird es mehr Gameshows geben, wir kriegen schon genug Formate!“ Und das klingt, wenn man’s genau nimmt, ebenso tröstlich wie erschreckend.