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Immer mehr britische Soldaten desertieren

Die Berufsarmee gilt als eine Institution, die ihre Angehörigen schlägt, demütigt und sexuell belästigt. Nun hat sie Rekrutierungsprobleme

DUBLIN taz ■ Soldaten sind gemein. Sie schikanieren und misshandeln ihre Kameraden so lange, bis die desertieren. Laut einer Statistik der britischen Armee hat die Zahl der Fahnenflüchtigen im vorigen Jahr den höchsten Stand erreicht, seit die Wehrpflicht abgeschafft worden ist: Einer von 48 Soldaten ist 1999 desertiert, insgesamt knapp 2.000 Leute. Das sind gut 50 Prozent mehr als vor vier Jahren.

Mancher Soldat flieht zwar wegen familiärer Probleme aus der Armee. In den meisten Fällen sind es jedoch untere Ränge, die von ihren Vorgesetzten oder anderen Soldaten geschlagen, gedemütigt und sexuell belästigt wurden. Zu den Ritualen, denen neue Rekruten unterzogen werden, gehört ein Bad in einer Wanne voller Urin und Erbrochenem. Nicht selten werden Soldatinnen gezwungen, in nassen T-Shirts zum Appell anzutreten.

Mehr als 30 Soldaten haben das Verteidigungsministerium verklagt, die Schadensersatzforderungen belaufen sich auf Millionen Pfund. Besorgnis erregender für die Armeeführung ist aber die Unterbesetzung: Mindestens 7.000 Stellen sind offen, trotz groß angelegter Rekrutierungskampagnen treten nur 15 Leute jeden Monat in die Armee ein. Bei diesem Tempo sind die 3.000 zusätzlichen Soldaten, die der Armee von der Regierung vor kurzem bewilligt wurden, so bald nicht aufzutreiben.

Dabei hat man sich schon von einigen Prinzipien verabschiedet: Seit vorigem Jahr dürfen auch Homosexuelle in der Armee dienen, Frauen dürfen Artilleriegeschütze bedienen. Und selbst in den Jugendgefängnissen versucht man zu rekrutieren. Doch die Armeeführung erleidet immer wieder Rückschläge aufgrund von breit publizierten Skandalen. So wurden im März 15 Soldaten wegen Einnahme von Drogen verurteilt.

Ein Jahr zuvor hat die Militärpolizei 15 Soldaten wegen Verbindungen zu Neonaziorganisationen verhaftet. Im Februar 1999 wurde ein Ausbilder verurteilt, weil er weiblichen Rekruten erklärt hatte, sie würden die Prüfungen nur bestehen, wenn sie mit ihm ins Bett gingen. Und vor 14 Monaten bekam ein Soldat eine Gefängnisstrafe, weil er den Hamster eines anderen Soldaten in der Mikrowelle gegrillt hatte. Trotz aller Versuche, der Armee ein modernes Image zu verpassen, hat sich so ihr Ruf als rassistische, homophobische, sexistische und drangsalierende Organisation verfestigt.

„Eine Berufsarmee steht immer vor dem Problem, genügend Leute zu überzeugen, dass die Belohnung das Opfer wert ist“, sagt Brigadekommandeur Sebastian Roberts, der für die Pressearbeit zuständig ist. „Das ist relativ einfach, wenn die Menschen glauben, dass das Überleben ihrer Gesellschaft auf dem Spiel steht. Aber es ist viel schwerer, wenn keine offensichtliche Gefahr droht.“ Nur ein Krieg könnte wohl die Probleme der britischen Armee kurzfristig lösen. „Krieg ist der beste Rekrutierer“, sagt Roberts. „Den größten Zulauf in den vergangenen Jahren hatten wir während des Falkland-Krieges.“ RALF SOTSCHECK

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