: Polens Regierung in der Minderheit
Die liberale Freiheitsunion kündigt die Koalition mit der Wahlaktion Solidarność auf. Ministerpräsident Jerzy Buzek will nun alleine weitermachen. Für die Rechtsangleichung an die EU-Gesetzgebung hat das zunächst kaum Konsequenzen
aus Warschau EMIL LANDAUER
Was lange gärt, wird endlich Wut. Nach diesem Motto hat gestern die liberale Freiheitsunion (UW) nun doch noch ihre Minister aus der Regierung von Ministerpräsident Jerzy Buzek zurückgezogen. Allerdings tat sie das ähnlich zögerlich, wie sie zuvor die Koalition gekündigt hatte. Leszek Balcerowicz, UW-Parteichef und Finanzminister, verkündete nach einer Vorstandssitzung am Dienstagmorgen, die Differenzen mit dem größeren Koalitionspartner hätten sich noch vertieft. Deshalb sei die für Dienstagnachmittag anberaumte Kabinettssitzung die letzte, an der die liberalen Minister teilnehmen würden.
Vertreter der Wahlaktion Solidarność (AWS) erklärten daraufhin, sie betrachteten die Koalition nun für beendet. Der Fraktionsvorsitzende der AWS, Marian Krzaklewski, erklärte, sein Parteienbündnis übernehme die alleinige Regierungsverantwortung. Ministerpräsident Buzek werde in Kürze Nachfolger für die zurückgetretenen Minister ernennen. Eine Einigung zwischen UW und AWS war gescheitert, nachdem sich AWS-Chef Marian Krzaklewski bereit erklärt hatte, Buzeks Nachfolger zu werden. Der war zwar von den Liberalen immer als Regierungschef favorisiert worden, doch nun machten sie einen Rückzieher.
Präsidentschaftswahlen im Herbst
Krzaklewski ist nämlich bereits Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im Oktober, wenn auch – den Umfragen zufolge – auf einem abgeschlagenen dritten Platz. Bei einer Niederlage werde er dann gezwungen sein, auch als Ministerpräsident zurückzutreten, argumentieren die Gegner seiner Kandidatur als Ministerpräsident. Dann beginne der Koalitionsstreit von vorne. Krzaklewski war aber nicht bereit, seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen im Oktober zurückzuziehen.
Hinzu kam, dass er auch in den eigenen Reihen angefeindet wurde. Die AWS ist eine Vier-Parteien-Allianz, und die Konservative Volkspartei, eine der Mitglieder, betreibt seit geraumer Zeit die Kandidatur von Parlamentspräsident Maciej Plazynski für das Amt des Regierungschefs.
Nach dem faktischen Rücktritt der fünf Minister und dem Scheitern der Koalition hat zwar der Streit in der Regierung ein Ende gefunden, der in der AWS wird aber weitergehen. Für Polens EU-Beitritt ist das nicht schwieriger als bisher. Die Übernahme des EU-Rechts ist zwar innerhalb der AWS umstritten, im Parlament können die entsprechenden Gesetzesinitiativen aber mit Unterstützung der oppositionellen Sozialdemokraten rechnen. Problematischer wären Neuwahlen, denn dann würde der Gesetzgebungsprozess für noch nicht in Kraft getretene Gesetzentwürfe wieder von vorne beginnen. Die Beitrittsverhandlungen finden in Polen auf Regierungsebene statt. Das Parlament wird nur in allgemeiner Form informiert, was Abgeordnete der Opposition immer wieder kritisiert haben, sich nun aber als Vorteil erweist.
Wenig Aussicht fürein Misstrauensvotum
Gestürzt werden kann die AWS-Minderheitsregierung Buzek nur mit einem konstruktiven Misstrauensvotum. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass sich die euroskeptische Bauernpartei, radikale Nationalisten, proeuropäische Sozialdemokraten und die liberale Freiheitsunion gemeinsam auf einen Premierminister einigen, mit dessen Wahl sie Buzek stürzen müssten.
Eng wird es für Buzek erst im Januar, wenn seine Abgeordneten ein Budget verabschieden müssen. Schafft die Regierung das nicht in der von der Verfassung vorgegebenen Zeit, darf der Präsident das Parlament auflösen. Der heißt dann allen Umfragen der letzten Jahre zufolge wieder Aleksander Kwasniewski. Würde jetzt gewählt, wäre den oppositionellen Sozialdemokraten, denen Kwasniewski bis 1996 angehörte, eine absolute Mehrheit sicher. Geschadet hat der Koalitionsstreit bisher vor allem Buzeks Parteienallianz. Die Liberalen könnten ihr Ergebnis von 1997 nach letzten Umfragen halten. Sollten sie sich nun entschließen, einen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen, schwinden die Chancen für Krzaklewski noch weiter, Kwasniewski an der Spitze des Staates abzulösen.
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