Wir können auch anders

Jazz an vier Sommerabenden: Mit einem Vorab-Konzert beginnt heute das renommierte „JazzBaltica“-Festival in Husum  ■ Von Tobias Richtsteig

Jeden Sommer häufen sich für Jazzfans die Festivals. Dort können sie ihre Stars live sehen, die aus dem angeblichen Mutterland des Jazz herüberkommen, weil sie hier ein Publikum und attraktive Gagen finden. In den letzten Jahren sprießen eine ganze Reihe von Festivals auf den sommerlichen Event-Wiesen, mit ambivalenten Folgen: Jazzmusik erreicht dort ein größeres Publikum als in den „Bergwerken des Jazz“, den regelmäßig geöffneten Jazzkellern vor Ort; die Puristen unter den Jazzkennern jedoch fürchten um das Niveau ihres Steckenpferdes, denn die Veranstalter achten bei der Programmgestaltung meist kräftig auf die Marktgängigkeit der Musik. So finden sich auf den meisten Spielplänen sommerlicher Jazzfestivals immer die selben Musiker auf Europa-Tournee, mit ihren neuen „Projekten“ im Gepäck. Ob Cuba oder Club-Music ist dabei fast egal. Jeden Sommer geistert deshalb die Gretchenfrage durch die Feuilletons: „Ist das noch Jazz?“

Doch es geht auch anders: Heute Abend beginnt mit einem Vorabkonzert in Husum die JazzBaltica, ein Jazzfestival, dass diesen Namen zweifellos zu Recht trägt. Das Jubiläumsprogramm – seit zehn Jahren findet JazzBaltica an Pfings-ten statt – vereint altgediente Klassiker mit den aktuellen Apologeten der fortgesetzten Jazztradition. Alle geladenen Gäste sind mindes-tens einmal schon in den vergangenen Jahren dabei gewesen. Und fast alle sind Stargäste: ob Charlie Haden, Michael Brecker, Joe Lovano, Roy Hargrove, Dino Saluzzi, Tomasz Stanko, Martial Solal & Lee Konitz oder Tim Hagans, Stefon Harris, Nils Landgren oder Peter Weniger (die Aufzählung ist bei weitem nicht komplett), von den meisten Musikern dürften auch nur wenig fanatische Jazzfans die eine oder andere Platte im Schrank haben.

Vermeintliche stilistische Eindeutigkeit macht aber auch eine große Anhäufung von Konzerten noch lange nicht zum Jazzfestival. Im Schloßpark Salzau, östlich von Kiel an der Ostsee, sind viele Musiker an mehreren Tagen in verschiedenen Besetzungen zu hören, und weil so der Tourplan nicht zum baldigen Aufbruch drängt, nehmen sie auch tatsächlich die Gelegenheit wahr und jammen „after hours“ im JazzCafé im alten Herrenhaus. Kostenlos und exklusiv.

Und noch eine Konstante sorgt für übergreifende Zusammenhänge und Interaktionen im Programm: das JazzBaltica Ensemble, dieses Jahr unter der Leitung des Trompeters Tim Hagans. Eine Bigband mit einer Besetzung, die aus 6 Ostsee-Staaten zusammenkommt, bringt die kreative Jazzszene rund ums Mare Balticum hinter ein gemeinsames Notenpult und in Verbindung mit den Zugpferden von Übersee. Und da für die Konzerte des Ensembles auch gemeinsam geprobt wird, lernt man sich auch tatsächlich kennen.

JazzThing, Deutschlands auflagenstärkstes Jazzmusikblatt, hat die JazzBaltica das „Kleinod unter den Jazzfestivals“ genannt. Angesichts des Aufgebots im Programm scheint das stark untertrieben. Richtig ist das Bild höchstens in Bezug auf die kompakte Atmos-phäre im übersichtlichen Festivalgelände, wo ab 12 Uhr Mittags schon Open Air-Konzerte der noch nicht ganz so bekannten Musiker laufen. Am Nachmittag um halb vier starten dann die „Hauptkonzerte“ in der Konzertscheune. Für 60 bis 70 Mark bekommt man dort jeweils drei Formationen zu sehen und zu hören, bestuhlt. Die „Hauptkonzerte 2“ am Abend beginnen Samstag und Sonntag jeweils um halb neun und dauern bis zu den Jamsessions weit nach Mitternacht.

Pfingstmontag dann gibt es nach dem Open Air-Programm nur noch ein Hauptprogramm, allerdings mit offenem Ende: Für die Schlussfeier betreten weit über 20 Stars aus zehn Jahren JazzBaltica-Geschichte die Bühne, manche treffen dort das ers-te Mal aufeinander. Die Entscheidung für eines der Programme kann ruhig nach dem passenden Termin oder nach Lust und Laune vor Ort getroffen werden. Ganztageskarten zwischen 100 und 120 Mark machen größere Entscheidungen überflüssig.

Eröffnung im Theodor-Schäfer-Berufsbildungswerk: heute, 20 Uhr, Husum;

Infos unter www.jazz-baltica.de oder Tel.: 0431 – 95280