: Eine enzyklopädische Party-Stimmung
■ Der musikalische Freibeuter David Lindley ist durch Kasachstan gekrochen. Jetzt begeisterte er zusammen mit dem Perkussionisten Wally Ingram im Moments
„Und nun bewegen wir uns vom Erhabenen zum Lächerlichen“, sagte David Lindley am Dienstagabend, als er nach einer stimmungsvollen Hymne auf die Naturschönheiten Hawaiis ein Protestlied darüber anstimmte, dass Bo Diddley von den Plattenfirmen um Tantiemen beschissen wurde. Aber genau an dieser Kante zwischen hoher Kunst und Albernheiten sitzt er ja immer, der Mann, der mit seiner inzwischen angegrauten, aber immer noch wehenden Mähne, der schreiend roten Hose und dem breiten Grinsen wie ein musikalischer Freibeuter aussieht. Tatsächlich ist er „wegen der Musik in Madagaskar oder Kasachstan herumgekrochen“ (Lindley über Lindley) und hat sich ein enzyklopädisches Wissen über die verschiedensten regionalen Musiken und Saiteninstrumente angeeignet. Diese riesige Vielfalt an Tönen, Melodien und Rhythmen stellt er aber nicht angeberisch aus, sondern er komprimiert sie zu seiner ganz eigenen Art von „good fun music“.
Bei seinen Konzerten wippt man am besten mit einem Bier in der Hand mit und lässt sich von der Stimmung mitreißen. Und dass ein Soundeffekt vielleicht ursprünglich von der dreisaitigen japanischen Shimisen kommt oder dass ein Reggae frech auf einer türkischen Saz angeschlagen wird, muss man nicht wissen, um es zu genießen. Lindley kaschiert seine obskuren Quellen auch noch dadurch, dass seine Lieder an der Oberfläche uramerikanisch sind. Er singt über den US-amerikanischen Nationalfeiertag oder darüber, wie groß die Chancen sind, auf dem Highway von einem Auto umgebracht zu werden. Jedes Lied hat einen Rhythmus, der einem sofort in die Hüften fährt, und wie reich diese Musik an melodischen und klanglichen Variationen und übermütigen Spielereien ist, wird einem beim Hinhören kaum bewusst.
Von seiner riesigen Sammlung mit obskuren Saiteninstrumenten nimmt Lindley etwa zehn mit auf Tournee, und er wechselte nach jedem Song. Mal von der „Weissenborn Hawaiian slide guitar“ zur in Japan gefertigten Laute, mal von der Bouzouki zur zwölfsaitigen Gitarre und dann wieder zur türkischen Saz. Dazu sang er in seiner einmalig schrägen Falsettstimme. Schließlich trommelte und klöterte Wally Ingram kongenial auf seinem sehr abenteuerlichen Drumset, das unter anderen Fundstücken auch ein Stahlhelm und der Kopf eines Plastik-Aliens zierten.
Lindley selbst sagt zu diesem Duo-Konzept, es gäbe „little big music“ und „big little music“, und diese wäre sein Ziel. Und tatsächlich war der Ton dieses Duos or-chestral – anders kann man es in seiner Dichte und Sattheit nicht nennen, und bei den Reggaes, für die beide eine besondere Vorliebe bewiesen, wurden dann auch die schön hippen Dub-Hall und Echoeffekte eingemischt. Am Beeindruckendsten war aber die ganz eigene Mischung aus äußerster Konzentration und Übermut, mit der die beiden spielten. Sie kombinierten das Erhabene und das Lächerliche so virtuos und publikumswirksam, dass dies einer der ganz großen Konzertabende der letzten Zeit wurde. Wilfried Hippen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen