: Schröders Kunst des richtigen Türspalts
Der Bundeskanzler auf Staatsbesuch im Baltikum: Ein Geschenk für ein AKW, vertröstend in der Frage einer baldigenEU-Mitgliedschaft, ablehnend hinsichtlich eines Nato-Beitritts, schweigend zu Minderheiten und Nationalismus
STOCKHOLM taz ■ Die Kunst des richtigen Türspalts war es, welche Gerhard Schröder beim ersten Staatsbesuch eines deutschen Bundeskanzlers in den baltischen Ländern am perfektesten beherrschte. Sperrangelweit offen die Tür für deutsche Investitionen und Wirtschaftsbeziehungen aller Art. Einen je nach geografischem und politischem Standpunkt unterschiedlich breiten Spalt was einen baldigen EU-Beitritt Estlands, Lettlands und Litauens angeht. Und fest verschlossen bei der Frage einer Mitgliedschaft in der Nato.
Was Letztere angeht, setzte der Bundeskanzler die schärfste Markierung gegenüber seinen GastgeberInnen: Es könne nur eine „gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur“ geben und in dieser müsse Russland seinen Platz haben. Eine Aussage, die diametral den Visionen der von vorwiegend rechtskonservativen Parteien geführten drei Regierungen widerspricht, die von einem gemeinsamen Anti-Russland-Bollwerk träumen.
Als kleines Trostpflaster hatte Schröder ein Millionengeschenk für das Schrott-AKW Ignalina parat. Es ist vom Tschernobyl-Typ und soll stillgelegt werden, produziert aber den Großteil des Stroms in Litauen. Der Kanzler sagte deutsche Finanzhilfe zu, nannte aber keine Zahl. Der erste Block soll 2005 vom Netz, dafür setzten die Litauer Kosten von 220 Millionen Euro an; 150 Millionen davon will die EU tragen.
Für eine baldige EU-Mitgliedschaft der Balten verweigerte Schröder auch nur die Andeutung eines Datums. Weder was die optimistische Jahreszahl 2003 angeht, die Estlands Präsident Lennart Meri und seine lettische Kollegin Vike-Freiberga vergeblich ins Gespräch brachten, noch die bis vor kurzem in der EU übliche Ziellinie 2005. Die „historische Verantwortung“ und die „deutsche Hypothek“, von der Schröder wohl im Hinblick auf den Molotow-Ribbentrop-Pakt sprach, der das Ende der Selbstständigkeit der baltischen Staaten bedeutet hatte, reichte nicht weiter, als dass man den Wunsch einer baldigen EU-Mitgliedschaft von deutscher Seite aus wohlwollend unterstützen werde.
Der Bundeskanzler empfahl den BaltInnen, sich „beitrittsfähig“ zu machen und „einige Gewohnheiten“ aufzugeben. Womit er offenbar die Behandlung der russischen Minderheit und stark anwachsende nationalistische Tendenzen meinte. Ein Thema, das Schröder ganz im Gegensatz zu seinen kürzlich auf Staatsbesuch weilenden schwedischen und finnischen Kollegen und Parteifreunden im Übrigen mit auffallendem Schweigen umging.
Was auch eine konkrete Antwort auf eine „Green Card“-Frage eines Studenten der Universität der lettischen Hauptstadt Riga bei einer Diskussionsveranstaltung am Dienstagabend anging. „Juristen wollen wir lieber nicht haben“, so lachend der Jurist Schröder, „davon haben wir selbst schon genug.“ Doch es ging durchaus auch um die Frage nach Einreisemöglichkeiten für ComputerspezialistInnen aus dem Baltikum. Doch da wäre man der Frage, welche konkreten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen die geplante EU-Osterweiterung eigentlich haben würde, vielleicht zu nahe gekommen. REINHARD WOLFF
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