: EZB tappt in die eigene Falle
Trotz neuer Euro-Stärke hebt die Europäische Zentralbank die Zinsen schon wieder an. Diesmal gleich um weitere 0,5 Prozentpunkte. Experten kritisieren die von EZB-Chef Duisenberg beschworenen Inflationsszenarien
von KATHARINA KOUFEN
Wochenlang hatte die Europäische Zentralbank (EZB) heftig mit dem Zaunpfahl gewunken: Bei jeder Gelegenheit witterte sie Gefahr für die Preisstabilität und rechtfertigte damit steigende Zinsen schon mal im Voraus. Gestern beschloss der EZB-Rat tatsächlich, den Leitzins zu erhöhen – und das gleich um einen halben Prozentpunkt auf 4,25 Prozent. „Die EZB hat überall Lunten gelegt – jetzt musste sie handeln“, kommentierte Thomas Mayer von der Investmentbank Goldman und Sachs gegenüber der taz.
Die offizielle Begründung lautet, „die Geldmenge sei zu stark gewachsen“. So habe sie im Mai um 6,3 Prozent zugenommen und damit den Referenzwert der EZB von 4,5 Prozent deutlich überschritten. Das habe unter anderem daran gelegen, dass mehr inländische Kredite vergeben wurden, sagte EZB-Chef Wim Duisenberg. Seine Befürchtung: Wächst die Geldmenge stärker als die Produktion im Euroraum, führt dies zu Inflation. Auch das prognostizierte Wirtschaftswachstum für die Eurozone von über dreieinhalb Prozent könnte die Preise unter Druck bringen.
Seitdem die EZB am 1. Januar 1999 die Wacht über den Euro übernommen hat, sind die Zinsen insgesamt um 1,25 Prozenpunkte gestiegen. Zunächst hatten die Währungshüter den Leitzins noch von drei auf 2,5 Prozent gesenkt. Seitdem haben sie ihn kontinuierlich erhöht, zuletzt am 27. April auf 3,75 Prozent.
Laut Maastrichter Vertrag hat die in Frankfurt angesiedelte Zentralbank die Aufgabe, für die innere Stabilität des Euro zu sorgen. Dabei hilft ihr ein Wachstumsziel für die Geldmenge, das regelmäßig mit dem tatsächlichen Wachstum verglichen wird. Mit höheren Zinsen hofft die EZB, den Anstieg der Geldmenge zu bremsen – denn damit wird es teurer, sich zu verschulden und über Kreditaufnahme zusätzliches „Geld zu schaffen“.
Für Peter Bofinger sind solche Überlegungen „Kaffeesatz“. Der Würzburger Wirtschaftsprofessor sieht keine Gefahr für die Stabilität des Euro. Dass die EZB ihre Zinsentscheidungen nach Entwicklung der Geldmenge treffe, sei willkürlich. „Die Bank sollte sich lieber an den langfristigen Realzinsen, also den Nominalzinsen abzüglich der Inflationsrate, orientieren.“
Wahrscheinlich, so vermuten Analysten, haben sich die EZB-Experten von der anhaltenden Euro-Schwäche unter Druck setzten lassen. Jetzt müssten sie die Zügel weiter straffen, um glaubwürdig zu bleiben. „Ich halte es für gefährlich, dass der Wechselkurs einen immer stärkeren Einfluss auf die EZB-Entscheidungen hat“, sagt Analyst Mayer. Schließlich sei das nicht die Aufgabe der Bank. Auch er hätte im Hinblick auf die angeblichen Inflationstendenzen „keinen Handlungszwang“ gesehen.
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