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Nach den Kumpels kommt die Kunst

Im Kohlenpott gibt es keine Cowboys mehr: Mit der Tanzmesse in Essen und dem Festival „millennium moves“ baut das Ruhrgebiet mal wieder am Imagewechsel. Noch aber steckt die Entwicklung intelligenter Marketingstrategien in den Anfängen

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Oben kreuzen Reiter die Fußgängerbrücke, unten steh’ ich im Stau auf dem Autobahnzubringer nach Essen. Fängt ja gut an, die Ankunft bei „millennium moves“, Tanzfest und Messe in Essen. Im Stau gefangen war auch Ernst Schwanhold, Minister für Verkehr und Wirtschaft, der sich deshalb auf der Pressekonferenz vertreten lassen musste. Er schaffte es aber zu den Begrüßungsreden der Ballettgala im Aalto-Opernhaus.

Warum ein Wirtschaftsminister eine Tanzmesse eröffnet und fördert (siehe taz vom 9. Juni), rechtfertigt Schwanhold mit einem beeindruckenden Zahlenwerk: 500 Millionen Mark werden in Deutschland jährlich im Tanz umgesetzt, 100 davon in Nordrhein-Westfalen. Den Fachjournalisten, die sonst mehr von mageren Gagen und fehlenden Produktionsetats hören, schwirren die Köpfe. Bis klar wird, dass der Minister auch Tanzschulen, Vereine und Arbeitsplätze im Tanzsport- und Fitnessbereich dazurechnet. So wird Tanz zum Faktor der Kulturwirtschaft.

Wer im Ruhrgebiet etwas erreichen will, muss mit Arbeitsplätzen argumentieren. Zahlen hat nicht nur der Minister im Kopf, auch der Taxifahrer redet gleich von Zechenschließungen und Bevölkerungsschwund. Jede Nachnutzung der Industriebrachen ist willkommen und sei es mit Musicals. Die Fahrt zur Tanzmesse auf der Zeche Zollverein gibt einem da das Gefühl, einen winzigen Beitrag zum Strukturwandel der Region zu leisten.

Mit Arbeitsplätzen muss man hier argumentieren

Der Mond steht schon zwischen Schornsteinen und Fördertürmen, als dort am späten Abend nach der Gala mit den Aufführugen von Danza Contemporánea de Cuba und Chunky Move aus Australien das Gastspiel-Programm zur Tanzmesse beginnt. Die Australier nennen ihre Vorstellung, die vom Australia Council unterstützt wird, gleich „Export File“. Sie stolpern und staksen auf die Bühne, als wären ihre Körper in Frankensteins Werkstatt falsch zusammengeschraubt. In ihrer Fassung des Märchens vom „Rotkäppchen“ hat der arme Wolf zwischen zählebigen Großmüttern und sexhungrigen Rotkäppchen nicht viel zu lachen. Solche aggressive und skurrile Demontage tradierten Bildungsgutes blieb aber die Ausnahme im Festival-Programm. Vielleicht weil man hier in der Realität genug Dekonstruktionen erlebt.

Ganz in der Tradition von Folkwang prägte eine Auffassung vom Tanz als reinigende und ursprüngliche Kraft die meisten Aufführungen. Einem Requiem für geschundene Landschaft glichen die „Gewöll-Transkriptionen“, zu denen Claudia Lichtblau aus der Tänzerschmiede Folkwang das Publikum täglich am späten Nachmittag auf ein Haldengelände einlud.

Schon der Weg dorthin, der auf stählernen Stegen über zugewachsene Schienen, alte Waggons und an den Transportbändern der Kohle vorbeiführte, stimmte auf einen Zeitsprung ein. Der Wind in den Birken und die nahen Kirchenglocken wurden ebenso zum gestaltenden Element wie der schwarze Schotter der Halde. Zwischen einem Teich und steilen Abhängen riefen die drei Tänzer weit entfernt von den Zuschauern mit einfachsten Mitteln Bilder vom Abschied und vom Ausstieg aus der Gesellschaft hervor, bewegten sich irgendwo zwischen Nachkriegszeit, Flucht und idyllischem Waldspaziergang. Manchmal lagen sie nur wie Steine im Schilf, als hätte man sie vergessen und zurückgelassen. Ein Mann, der rannte, erinnerte zugleich an einen begeisterten Freizeitjogger und einen, der vor der Sinnlosigkeit eines leeren Tages flieht. Seit 1992 hat Claudia Lichtblau für Kesselhäuser, Waschkauen und Gleisanlagen 10 Kapitel ihrer „Bewegungs Ort Nungen“ entwickelt. Der Mythos der Schwerindustrie ist da ebenso ihr Kapital wie die Suche nach einer neuen Identität.

Mythos Schwerindustrie wird zum Kapital

Eine Rückkehr der Natur und zu den elementaren Energien des Lebendigen beschwört auch Henrietta Horn, seit einem Jahr Leiterin des Folkwang-Tanzstudios, in ihrem Stück „Itambé“. Mit einer Kraft, wie Wind und Wasser von ersten Regentropfen und kurzen Böen zu großen Flüssen und Stürmen anschwellen, fasst sie die divergierenden Rhythmen und Richtungen ihrer elf Tänzer immer wieder zusammen. Unterbrochen werden diese Wellen von kurzen, grotesken Paargeschichten, die eine knappe Ahnung davon vermittelten, womit das Leben einen aufhalten kann. Doch an die Stelle der Gegenwart setzt Horn eine im Ritual besänftigte Welt, die das Erbe der klassischen Tanzmoderne und seine Verklärung des Ursprünglichen nicht hinterfragt.

Ganz anders geht da VA Wölfl mit seiner Düsseldorfer Compagnie Neuer Tanz ans Werk. Von 13 Uhr mittags bis 1 Uhr in der Nacht probten sie den „Schichtwechsel“ vom alten Ruhrpott in die neue Gesellschaft der Dienstleister. Tänzer anderer Compagnien waren eingeladen, sich am Trainingsprogramm zu beteiligen, das die Fächer Gesang, Trommeln, Schuhplattler, Stunt und Klassisch umfasste – Tanz ist Arbeit und Form eine Sache der Produktionsbedingungen.

Bei Neuer Tanz gibt es nichts zu konsumieren, seine Stücke gleichen offenen Versuchsanlagen, in denen Theater in seine Elemente zerlegt wird. Insistieren auf der Verweigerungshaltung hat man ihm oft vorgeworfen, Kommerzialität hingegen noch nie. Dennoch gelang es „Neuer Tanz“ als Einzigem, das Ansinnen der Tanzmesse nicht nur tatkräftig mitzutragen, sondern auch ironisch zu kommentieren. In den Eingang der Messe stellte Wölfl ein Readymade, einen Schokoladenbrunnen aus Brüssel, süß-duftende Metapher dafür, dass nun etwas anderes als Kohle gefördert wird. Die zugehörige Karte zitierte Wolfram Siebeck: „Sind die Konsumenten blöd? Die Wahrheit ist schlimmer. Sie sind vom Schnäppchenvirus befallen.“ Zum Schnäppchen muss man sich nicht machen, um sich zu verkaufen.

Musik, Film und Kunst haben schon lange ihre Messen, Tanz bisher nur in den USA und Kanada. In Europa dagegen gibt es wenig Übung, Kultur zu verkaufen, ohne dass gleich ein Event in der Fußgängerzone daraus wird. Auf dem Gelände der Zeche hatte die Messe zwar den Vorteil, zwischen aufgeschnittenen Kesseln, alten Rohrleitungen und dramatischen Stahlträgern nie mit der Anonymität stereotyper Messearchitektur zu ermüden, bezahlte die Atmosphäre aber mit Unübersichtlichkeit.

So kamen bis zum Stand der französischen Association des Centres Choréographiques Nationaux zu wenig Besucher. „Wo sind denn die Programmateure der deutschen Theater?“, wunderte sich Cyril Pigeau etwas enttäuscht, der auf mehr Interesse großer Häuser gehofft hatte. Dass es sich nicht lohnt, auf deren Besuch zu warten, entschied Klaus Ludwig, Manager von zwei kleinen Tanzcompagnien aus der Schweiz und Belgien, schon bald und machte sich auf die Suche nach Veranstaltern, die an ihren gelben Messeschildern zu erkennen waren. Er fand seine Ausbeute an Visitenkarten und Informationen über Festivals zum Beispiel in Litauen, von denen er vorher noch nie gehört hatte, befriedigend. Andere, wie die Vertreterin aus Rumänien, freuten sich, überhaupt das erste Mal nach Deutschland eingeladen zu sein: „Niemand kennt uns bisher und das hier ist ein Anfang.“

Die Angst vor dem Weg in die Eventkultur

Einsam saß im schlichtesten Stand von allen ein freundlicher Herr von der Künstlersozialkasse vor einem Stapel Antragsformulare, der nicht dünner werden wollte. Auch die Prospekte für Heimtrainer und Stretch-Maschinen gingen nicht weg. Die Hoffnungen des Ministers, sich im „wachsenden Fitness- und Wellnessbereich Zukunftsmärkte zu erschließen“ wurden nicht so recht erfüllt. Nur wenige Aussteller waren so resolut wie die Damen aus Tokio, die jedem eine Einladung zu ihrem Festival in die Hand drückten.

„In Amerika“ erzählten die Veranstalter, „hat man mit dem Verkaufen von Kultur mehr Erfahrung.“ Von dort übernahmen sie die Präsentationsform des „Showcase“, im dem die Handschrift eines Choreografen mit einem kurzen Arbeitsausschnitt vermittelt werden soll. Manches allerdings landete auf dieser Verkaufsplattform wie von einem fremden Stern. Niemand konnte einschätzen, wer sich unter dem Label „Thought Forms – The International American Choreographers Showcase“ verbarg. „Thought Forms“ brachten grauhaarige Elfen und bemüht expressive Tänzerinnen auf die Bühne, als ob man Isadora Duncan eben zu Grabe getragen hätte. Bei einer Fassung von „Romeo und Julia in den Rocky Mountains“ ist Julia ein Indianermädchen in Spitzenschuhen und Romeo ein blonder Held, für dessen Sprunggewalt die Bühne entschieden zu kurz war. Das Stück soll, so schrieb eine Zeitung in Montana, Cowboys zu Tränen gerührt haben; im Ruhrgebiet gibt es keine Cowboys mehr. Betroffen schlich sich das Publikum aus dem Saal.

So zeigte sich das Doppelpack Tanzmesse und Festival dort stark, wo die regionalen Traditionen beackert wurden, entschieden zu eng und zu wahllos aber im Blick auf die internationale Entwicklung des Tanzes. Es ist kaum zu befürchten, dass der Tanz als Eventkultur auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft missbraucht werden könnte – eher schon, dass die Entwicklung intelligenter Marketingstrategien und maßgeschneiderter Förderung noch in den Anfängen steckt.

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