Otto spielt Osten gegen Westen aus

Das weltgrößte Versandhaus will in den Kundencentern sparen und auch lang gediente Beschäftigte über Änderungsverträge in Niedrigtarife einordnen. Beschäftigte sprechen von Drohungen. Personalchef soll nun „durch Diskussion“ überzeugen

aus Essen ANDREAS WYPUTTA

Dem Otto-Versand geht es gut. Das war die eine zentrale Botschaft beim Firmenjubiläum, das Firmenchef Michael Otto mit Bundeskanzler Gerhard Schröder, Model Claudia Schiffer und dem britischen Pop-Sänger Elton John feierte. Die zweite: In positives Image investiert Otto nicht nur bei Parties. Das weltgrößte Versandhaus will als umweltfreundliches und soziales Unternehmen gelten. Rund 1,5 Millionen Mark spendet es jährlich an Umweltverbände. Zum Geburtstag verschenkte es rund 20 Millionen Mark an gemeinnützige Projekte. Das ist ein Jahr her. Und intern soll jetzt gespart werden: Otto will die Personalkosten in seinen Call-Centern senken und setzt dabei die MitarbeiterInnen unter Druck.

Der Konzern hat den Gewerkschaften HBV und DAG einen neuen, niedrigeren Haustarif abgehandelt, der allerdings nur bei Neueinstellungen gilt. Das Management versucht nun aber, auch langjährige Beschäftigte in den neuen Niedrig-Tarif einzustufen. Die MitarbeiterInnen sollen Änderungsverträge unterschreiben. Und nicht nur das: Bei Bedarf soll auch an Sonn- und Feiertagen und nachts ohne Zuschläge gearbeitet werden.

Bundesweit beschäftigt der Otto-Versand, der 1998 knapp 33 Milliarden Mark umsetzte, rund 1.000 Menschen in so genannten Kundencentern zur telefonischen Aufnahme von Bestellungen. Um ein drohendes Outsourcing zu verhindern, hatten die Gewerkschaften zugestimmt, den Haustarif für neu Eingestellte um rund 570 Mark zu senken. Nun will die Geschäftsführung über die Änderungskündigungen die Differenz zwischen diesem niedrigeren Tarif und dem bislang gezahlten Lohn für die langjährigeren Otto-Beschäftigten als übertarifliche Zulage definieren. Das heißt: Zukünftige Lohnerhöhungen werden damit verrechnet – den Beschäftigten drohen in den nächsten Jahren effektive Gehaltskürzungen.

MitarbeiterInnen des Essener Kundencenters berichten, ihr Chef habe dabei nicht vor Drohungen zurückgeschreckt: „Wenn du nicht unterschreibst, kannst du dir schon einmal überlegen, ob der Otto-Versand noch der richtige Arbeitgeber für dich ist“, habe es geheißen. Der mittlerweile pensionierte Otto-Vorstand Gerhard Höcht habe versucht, ArbeitnehmerInnen im Westen unter Hinweis auf die niedrigeren Personalkosten in den neuen Ländern unter Druck zu setzen, berichten Beschäftigte aus Hamburg. „Entweder, ihr unterschreibt die neuen Verträge, oder wir machen den Laden hier zu“, soll Höcht auch in einem Kundencenter in Nordrhein-Westfalen gesagt haben. Abfindungen könne der Konzern durch Subventionen auffangen, die bei einer Investition in den neuen Ländern fließen.

Obwohl bei Otto mittlerweile Unsicherheit und Angst vorherrschen, wehren sich viele MitarbeiterInnen gegen das Ansinnen des Managements: In einem anonymem Fax aus dem Kundencenter Dresden betonen die dort Beschäftigten: „Auch im Osten arbeitet niemand für zehn Mark brutto!“ In Köln, Berlin, Hanau und Hamburg wollen viele die neuen Verträge nicht unterschreiben, und Beschäftigte aus Lübeck haben bei Firmenchef Otto gegen die Einschüchterungsversuche der Personalabteilung protestiert.

Otto-Personalchef Helmut Meyer rudert auf Nachfrage zurück: „Wir wollten niemanden unter Druck setzen.“ Bei den Drohungen handele es sich um „Fehlleistungen einzelner Mitarbeiter“. Er werde in den nächsten Wochen an die einzelnen Standorte reisen, um die Beschäftigten „durch Diskussionen“ zur Unterschrift unter die Verträge zu bewegen. Meyer bleibt keine Wahl: Nach Ansicht des Hamburger Rechtsanwalts Klaus Bertelsmann, der einige Betroffene vertritt, kann der Versand seine Leute nicht zur Unterschrift zwingen – und auch die Hamburger HBV-Gewerkschaftssekretärin Hildegard Ziegler betont: „Wir raten jedem Mitarbeiter, die Verträge nicht zu unterschreiben.“