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Mit besten Grüßen, euer Egon

Mit Sonnenbrille, Mafiahut. In Uniform. Im Anzug. Als Denker. Die Handballer aus Everswinkel trafen im Irak vor allem einen: Egon, den großen Leiter

von WERNER PACZIAN

Nennen wir ihn Egon, aus Gründen der Vorsicht, weil in seinem Land kaum jemand wagt, offen schlecht über ihn zu reden. Allenfalls in gezwungener Atmosphäre fällt sein Name, dann ist er der „große Leiter“. Obwohl Egon selten leiblich anwesend ist, er bleibt hier auf klebrige Weise ständig dein Begleiter. Egon trägt dunkles, von links nach rechts gekämmtes Haar und einen buschigen Schnauzer. Manchmal lässt er ein paar Dutzend Offiziere erschießen oder traktiert im Norden des Landes tausende Kurden mit Giftgasgranaten.

Irak gewinnt 28:24

„Timo! Timo!“, brüllen begeisterte Araber in einer Sporthalle in Bagdad. Der 19-Jährige aus dem Münsterland hat gerade sein erstes Handballtor auf irakischem Boden geworfen. Die Landesligamannschaft aus Everswinkel, 8.000 Einwohner, spielt gegen das heimische Olympiateam – vor laufenden Kameras des Egon-Channel.

Das Thermometer in der Halle zeigt 35 Grad, Egons Foto hängt kühlschranktürgroß an der Wand, und die Schiris tanzen bisweilen nach der Pfeife der Gastgeber, weil sie Egons Geburtstag nicht vermasseln wollen. Am Ende siegt das irakische Team mit 28:24 Toren.

„Für uns ist das Ergebnis zweitrangig“, sagt Frank Mester (33). Er und seine Mitspieler wollen „Land und Leute kennen lernen“, zwischen Euphrat und Tigris, wo einst die Wiege menschlicher Kultur stand und heute die einfachen Leute von Egon und einem UN-Embargo gebeutelt werden. Der sitzt im Hotelfoyer des „Al Sadeer“, im schicken Zweireiher, auf einer Art Thron.

Am Tag vor dem Spiel war die Mannschaft aus Everswinkel in der jordanischen Hauptstadt Amman aufgebrochen. Fast tausend Kilometer Busfahrt bis Bagdad, das wegen des Embargos nicht angeflogen werden kann, quer durch die graubraune Wüste. Geröll, Staub und Felsen bis zum Horizont, Beduinenzelte und: Egon! An der jordanisch-irakischen Grenze hängt er postergroß gleich mehrfach.

Am nächsten Morgen stehen die acht Handballer aus Everswinkel mitten im irakischen Orient. Aus einem Mosaik voll blauer Kacheln im Zentrum von Bagdad schaut Egon sich mannshoch sein Volk an. Auf dem Basar feilschen Männer im Kaftan lautstark, aber genüsslich um Datteln, Gewürze und Brot.

„Welcome to Irak!“, rufen die Menschen und drängen sich vor die Kameras der Außerirdischen. Die arabischen Augen funkeln vor Neugierde, die Kreisläufer aus Everswinkel werden eingekreist – eine schmale Brücke in die Welt da draußen. Seit zehn Jahren ist der Irak international geächtet, und die westlichen Touristen, die sich seitdem ins Land trauen, werden in Bagdad per Handschlag begrüßt.

Und von Egon. Er strahlt von Briefmarken und Geldscheinen und steckt in einem deutschen Reiseführer von 1982, dem aktuellsten, der momentan in Bagdad zu haben ist. Außen am Hotel, in dem das Team aus Everswinkel wohnt, haftet ein meterlanges Transparent: „Willkommen die deutsche Abordnung der Freundschaft und Frieden.“ Egon posiert darüber, zweifach lächelnd mit Palästinensertuch über dem Kopf und ein drittes Mal in weißer Anzugjacke und Geburtstagskerze vor der Nase. 1980 trat zuletzt eine deutsche Handballmannschaft im Irak an. Die kam aus Frankfurt, an der Oder, weil Egon damals gerade dem Sozialismus huldigte.

Geheimdienst reist mit

„Wir wollten die Isolation der Menschen ein wenig aufbrechen und ein Tropfen auf einem heißen Stein sein, aber der wird hier zu einem mittleren Wasserfall ausgebaut“, sagt Eberhard Mehm (50) aus Münster, der die Reise organisiert hat. Zur Begrüßung der Deutschen erscheint der Vizechef des „Nationalen Olympischen Komitees“, das nicht einen Sportler nach Sydney wird schicken dürfen. Noch ein Mann ist anwesend: Tapfer begleitet er die Gäste ab sofort trotz mittäglicher 35 Grad auf Schritt und Tritt. Deutsch versteht er so lange nicht, bis er sich irgendwann verplappert und dafür wahrscheinlich von seinem Geheimdienstchef als Kamel beschimpft wird.

Für die irakische Delegation ist Reiseleiter Mehm eine VIP. Deswegen muss er in einem ausgedehnten Lincoln voll klimatisiert per Chauffeur dem Spielerbus vorausfahren. Der Mann ist im richtigen Leben Verwaltungsangestellter und Mitglied in der „Deutsch-Arabischen Gesellschaft“. Monatelang kämpfte er für seinen Plan, dem Irak einen sportlichen Besuch abzustatten. „Eine Mannschaft zu finden, die sich eine solche Reise zutraut, war das Schwierigste. Es hagelte Absagen, bis ich das Team aus Everswinkel gefragt habe. Die jungen Spieler sind bis in die Haarspitzen motiviert.“

Sagt's und steht wenig später mit ihnen im Stau. Auf den Straßen von Bagdad ziehen Blechkarawanen vorbei. Verbeulte, in die Jahre gekommene Autos, deren Fahrer gelegentlich an grünen Ampeln stoppen, weil ein Kollege von rechts kommen könnte. Die Hupe wird anhaltend benutzt, als gelte es, die embargobedingten Engpässe zu übertönen. Pkw-Ersatzteile sind kaum zu beschaffen, und darum ziehen sich durch drei von vier Windschutzscheiben zackige Risse, die wie arabische Schriftzüge aussehen. Wegen Egons Politik dürfen keine Bleistifte eingeführt werden, weil das Blei militärisch nutzbar wäre. Auch Krankenwagen aus Frankreich durften die Grenze zum Irak nicht passieren, sie könnten verwundete Soldaten transportieren.

Embargo-Bagdad ist nicht Nizza. Im Kinderhospital Iben al Beladi hocken Mütter am Bett ihrer Kinder, verscheuchen Fliegen und fächern mit Handtüchern Luft ins Gesicht der kleinen Patienten. „Es fehlt an Medikamenten und medizinischem Gerät“, sagt der Krankenhauschef. „Die Einfuhren, die die UN erlaubt, decken gerade 20 Prozent unseres Bedarfs.“

Als wolle er solche Engpässe persönlich kompensieren, präsentiert Egon sich reichlich auf Bildern in der Stadt. Mit Sonnenbrille, Mafiahut und brauner Jacke. In Uniform. Im Anzug. Manchmal auch als Denker, das Gesicht in analytische Falten gelegt, als grüble er angestrengt über das Wohl seines Volkes nach. Der Mann ist eine ganze Boygroup!

Waren, aber kein Geld

Die Auslagen der Geschäfte sind prall gefüllt mit Goldschmuck, westlicher Markenkleidung, Farbfernsehern. Aber kaum ein Iraker kann sich leisten, auf den Shoppingmeilen einzukaufen. Ein Angestellter verdient zwischen 5 und 25 Mark monatlich, weswegen hier fast jeder mindestens einen zweiten Job benötigt. Egon natürlich nicht, der feiert in Kürze Geburtstag.

Paul Schulze Zurmussen (19) ist trotzdem „total beeindruckt, wie viel Leben in dieser Stadt ist“, und Markus Nieße (21) schwärmt davon, „wie offen und freundlich die Menschen hier sind“.

Das Team aus Everswinkel besichtigt auch einen Bunker. „Willkommen in meinem Haus der Märtyrer“, sagt eine ganz in Schwarz gekleidete Frau. „Der Kriminelle George Bush hat am 13. Februar 1991 zwei Raketen durch einen Luftschacht in den Bunker geschickt. Nachts. 1.200 Menschen waren hier, 14 haben verletzt überlebt.“ Ein dickes Loch klafft noch im fast zwei Meter dicken Stahlbeton der Decke. Darunter liegen am Boden Kränze. An den Wänden hängen zwischen Rußspuren Bilder der Toten. Der Bunker ist heute als Gedenkstätte hergerichtet. Dass es während des zweiten Golfkriegs den Angriff gegeben hat, wird selbst von Amerikanern nicht bestritten, die Egon hinter den Mauern vermuteten.

Neun Familienmitglieder habe sie an jenem Tag verloren, darunter zwei eigene Söhne, erzählt die Frau in Schwarz, die sich „Umghaidaa“ nennt, „Mutter der Kinder“. Ihren richtigen Namen will sie nicht preisgeben, auch nicht ihr Alter. „Ich bin damals gestorben.“ Die Worte, mit denen sie über „die Verbrecher Bush und Clinton“ spricht und dabei geschickt ihren eigenen Präsidenten ausspart, könnten direkt aus einer Vorlage des egonschen Propagandaministeriums stammen.

Am nächsten Tag spielen die Deutschen gegen das irakische Nationalteam. 18:28 heißt es am Ende, doch für die irakischen Offiziellen zählt nicht allein der Erfolg. Dann ist es Zeit für ein wenig Politik. In einem mit roten Teppichen ausgelegten Konferenzsaal sitzen irakische Handballfunktionäre und Journalisten. An der Wand hängt ein Bild von Egon. Weil die beiden Freundschaftsspiele nur wenige Tage vor seinem Geburtstag stattfanden, erklärte der Präsident des irakischen Handballverbandes die Reise der Deutschen zum „Geburtstagsbesuch für unseren großen Leiter“ – ohne das Einverständnis der Gäste eingeholt zu haben.

Die halten eisern am rein sportlichen Charakter des Besuchs fest. „Natürlich mussten wir damit rechnen, dass unsere Fahrt von der Regierung zu Propagandazwecken missbraucht wird, aber für uns stehen die einfachen Menschen und die sportlichen Kontakte im Vordergrund“, sagt Spielertrainer Markus Klosterkamp (35).

Stoppuhren als Präsent

Organisator Eberhard Mehm ist inzwischen eine Art Nationalheld, dem stolz das andere Bagdad präsentiert wird, am Tigris. In schwimmenden Restaurants dinieren dort Egon-Günstlinge mit ihren Gästen. Bunte Lichter leuchten, Anzüge und schicke Abendkleider wandeln umher. Flussfische werden traditionell irakisch über dem offenen Feuer gegrillt. Als Vorspeise gibt es eine Schnellbootfahrt auf dem Tigris.

Dem Team aus Everswinkel steht eine mächtige Freundschaftsdelegation aus Funktionären gegenüber. Goldene Teller werden den Deutschen überreicht und Wimpel. Jemand steckt Eberhard Mehm eine wichtige Anstecknadel ans Revers, auf der überraschend Egons Kopf fehlt. Die Deutschen bedanken sich mit Stoppuhren, Bällen und einem Münster-Buch.

Die Reise hat sich gelohnt: nur eine geklaute Tasche und ein lädierter Handballarm. Ansonsten die Begegnung mit Menschen, die seit zehn Jahren wegen Egon geschnitten werden. Für ein paar Iraker hat Deutschland inzwischen ein neues Synonym: Everswinkel. Wenn das nichts ist.

Am letzten Abend in Bagdad geht Eberhard Mehm früh zu Bett. Geschafft! Keine Geiselnahmen, keine Polizeiverhöre. Selbst die Sache mit Egons Geburtstag haben sie gemeistert und sich keine Glückwünsche entlocken lassen. Vor dem eigentlichen Tag zu gratulieren bringe bekanntlich Unglück, sagt einer. „Und wer wünscht das dem Präsidenten schon?“

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