: „Im Ausland empfängt man mich freundlicher“
Oleg Mironow, Russlands Menschenrechtsbeauftragter, zur Lage in Tschetschenien, in russischen Gefängnissen und Moskaus Polizeirevieren
taz: Sie sind seit zwei Jahren Menschenrechtsbeauftragter Russlands. Erst in jüngster Zeit ist Ihre Stimme deutlich zu hören. Hängt das mit dem Krieg im Kaukasus zusammen?
Oleg Mironow: Wir haben von Anfang an Verletzungen der Bürgerrechte angeprangert und die Bürokratie an ihre rechtlichen Pflichten erinnert, prinzipiell, hart und unnachgiebig. Es ist indes nicht Aufgabe des Bevollmächtigten, noch mehr Konflikte zu schaffen. In der Tat werden in Tschetschenien Menschenrechte en masse verletzt. Darauf weisen wir die Verantwortlichen regelmäßig hin. Macht es denn Sinn ein 1.000-Seelen-Dorf zu bombardieren, in dem sich zehn Rebellen verschanzen?
Es sieht so aus, als würde sich die Lage der Flüchtlinge in Inguschetien verschlechtern.
Der föderale Migrationsdienst wurde mit dem Ministerium für nationale Angelegenheiten verschmolzen. Seither sind die Konten des Migrationsdienstes eingefroren und die Flüchtlinge erhalten kein Geld.
Moskau hat sich mit Händen und Füßen gesträubt, internationale Beobachter nach Tschetschenien zu lassen. Nicht ohne Erfolg, der Protest gegen den Krieg war eher schwach.
Das stimmt nicht ganz. Die Verbesserung der Lage insbesondere im Filtrationslager Tschernokosowo ist auf die vielen internationalen Beobachter zurückzuführen. Als die UN-Beauftragte Mary Robinson hier war, habe ich ihr deswegen gesagt, um Verletzungen auf die Spur zu kommen, müsste sie inzwischen andere Orte aufsuchen, die Auffanganstalt in Piatigorsk etwa. Inzwischen wären wir aber dankbar, wenn der Westen mehr konkrete Hilfe leisten würde mit Lebensmitteln, Medikamenten und Ärzten.
Haben Sie Einfluss auf die Miltärgerichtsbarkeit?
Das Gesetz muss auf tschetschenische Terroristen genauso angewandt werden wie auf Verbrechen, die von der Armee oder den Bürokraten begangen werden. Die Staatsanwaltschaft sollte diesen Anschuldigungen nachgehen. Verbergen nützt nichts. Inzwischen sind 120 Verfahren gegen Militärs anhängig. Doch wir müssen dranbleiben, denn sie können heute eröffnet und morgen klammheimlich wieder eingestellt werden.
Der russische Bürger setzt wenig Vertrauen in die staatlichen Ordnungskräfte. Woran liegt das?
Viele Bürger wenden sich nicht an die Polizei, weil sie keine Hoffnung haben, ihr Anliegen werde geklärt. Andere fürchten die Rache des organisierten Verbrechens. Aber auch die Brutalität der Polizei ist ein Grund. Noch immer verletzen Institutionen regelmäßig Bürgerrechte. Gegen elementare Rechte wird auch in den Untersuchungsgefängnissen verstoßen, wo Inhaftierte jahrelang unter erbärmlichen Bedingungen auf den Prozess warten müssen.
Hat sich seit dem Eintritt Russlands in den Europarat an der Menschenrechtssituation nichts geändert?
Wir beobachten eine Tendenz zur Verbesserung, die auch mit der langsamen wirtschaftlichen Stabilisierung zusammenhängt. Überdies hat Russland mit der Aufnahme in den Europarat Verpflichtungen übernommen, auch wenn es sie manchmal schlecht oder ungern erfüllt. Allerdings ist es nicht immer korrekt, Russland belehren zu wollen. Auch wir haben eine Menschenrechtstradition, auf die wir zurückblicken können. Aber der russische Doppeladler schaut – das darf man nicht vergessen – nach Westen und Osten.
Vor zwei Tagen wurde der Chef der Mediengruppe Most, Wladimir Gussinski, verhaftet. Zuvor wurden die Redaktionsräume durchsucht, und auf dem Flughafen wurde der amnesty-Bericht zu Tschetschenien beschlagnahmt. Zufall, Willkür oder Rückfall in polizeistaatliche Methoden?
Die Durchsuchung von Media-Most hat die Ordnungskräfte diskreditiert. Mitten im Stadtzentrum tauchen bewaffnete Truppen auf, als ginge es um eine antiterroristischen Maßnahme. Ich kritisere die Art des Vorgehens, zum Hintergrund kann ich nichts sagen. Die Konfiszierung des amnesty-Berichts war ein grober Fehler.
Ob Militärs oder Zöllner, auf Menschenrechtler reagieren sie allergisch. Wie ergeht es Ihnen ?
Nun, im Ausland empfängt man mich gewöhnlich freundlicher. Nicht alle verstehen die Bedeutung der Institution richtig. Seit über zwei Jahren hausen wir in dieser provisorischen Unterkunft, die das Ansehen nicht gerade fördert.
Präsident Boris Jelzin hat Sie zweimal empfangen. Und Wladimir Putin ?
Bisher nicht, aber ich hoffe es wird noch. INTERVIEW: KLAUS-HELGE DONATH
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