: Vor dem Beat die Message
Autorentechno für die Großraumdisco: Trotz Kunstanspruch und ausgesprochenem MTV-Hass ist der New Yorker House-DJ Armand van Helden mit seinem Hit „Koochy“ der Glückspilz des Sommers
Wenn man vom glamourösen Hofstaat der Clubkulturindustrie absieht, gibt es in der Abteilung Dancefloor zwei Sorten von Werktätigen: DJs und Produzenten. Die einen flitzen mit ihrem Plattenkoffer durch die Weltgeschichte, die anderen fummeln zu Hause am PC herum; die einen leben ihre Jugend on the road aus, die anderen bereiten sich in the studio langsam auf die Zeit als mittelständischer Unternehmer vor; die einen haben Sex und Drogen, die anderen Lobsterdinner und Rendite. Und dann gibt es noch Leute, die haben das alles zusammen in einem Sommer. Das sind die Glückspilze auf dem Tanzsektor.
Dieses Jahr heißt der Glückspilz Armand van Helden. In England schwappt sein „Koochy“ gerade durch die Charts. Mit einigem Sinn für Retro-Trash hat van Helden sich bei Numans „Cars“ bedient und den kantigen Synthiepop der frühen Achtzigerjahre für den Club zerlegt. Während der New Yorker House-DJ dabei wie irre geworden am Song des Lederschlipsträgers Gary Numan herumscratcht, brettert ein Latin-HipHop-Beat darunter durch. Obwohl die dazugehörigen Welten aus Neon und Trainingsanzügen, Haargel und Goldkettchen weit auseinander liegen, ist das Ergebnis verblüffend eingängig. Mehr noch, van Helden zeigt mit seinem Mix, wie einfach sich die Nischen aus der Popgeschichte ohne viel Nostalgie zusammenfügen: Die Melodie hätte Kraftwerk auch nicht besser hinbekommen, der Rhythmus passt zum Autokorso auf dem Weg zur Love Parade. So sind die Hits im Jahr 2000, und van Helden hat davon auf seiner aktuellen CD „Killing Puritans“ immerhin ein knappes Dutzend hinbekommen – ein bisschen House hier, fette Siebzigerjahre-Disco dort, und zwischendrin das gute alte Rave-Geknatter.
Oder vielleicht doch nicht ganz. Denn bei aller Abfahrt, die in der Musik von van Helden angelegt ist, sieht sich der 30-jährige Sohn französich-libanesischer und holländisch-indonesischer Eltern nicht bloß für den Spaß zuständig. Dem britischen New Musical Express hat er erzählt, dass ihn die Schnelllebigkeit der Musik im Party-Bereich ärgert, weil es „nur noch einen Haufen Platten gibt, die keinen Monat überdauern“. Dagegen setzt van Helden auf ein musikalisches Konzept, das im DJ nicht bloß den Star für eine Nacht sieht, sondern einen Künstler. Kommt nach den Raves der Neunzigerjahre womöglich Autorentechno jetzt auch in Großraumdiscos in Mode? Für van Helden wächst jedenfalls mit der Plattensammlung die Verantwortung für die Gesamtentwicklung von Popkultur, die mit Gruppen wie den Backstreet Boys zur „Propaganda für 14-Jährige“ verkümmert ist. Selbst Vergleiche mit Hitler kommen dem Hitzkopf van Helden in den Sinn, wenn er über MTV als Marktführer spricht.
Nun zählt Tanzmusik ohnehin nur bedingt zu den Produkten, die sich via Fernsehbeschallung gut vermarkten lassen. Und auch das „Koochy“-Video wirkt im Chartüberblick einigermaßen befremdlich: Bombeneinsätze im Golfkrieg und auf dem Kosovo wechseln sich mit Sexy-Dessous-Clips und Bildern aus irgendeiner Maschinenfabrik ab. Kaputtheit als Fremdkörper unter lauter Waschbrettbäuchen? Tatsächlich sucht van Helden auf „Killing Puritans“ die Balance zwischen Polit und Entertainment. Minutenlang werden O-Töne von Leuten auf der Straße eingeblendet, die sich über Rudolph Giulianis Zero-Tolerance-Programm beklagen oder über die Verdrängung sozialer Randgruppen aus New York. Erst nach der Message regiert wieder der Beat. Darin ist van Helden ganz Kind der Sechzigerjahre, die er bewundert, weil damals wenigstens versucht wurde, „Schwarz und Weiß, Arm und Reich zusammenzubringen“. Das mag zwar für einen Homeboy, der eher mit „Star Wars“ als mit Malcolm X aufgewachsen ist, etwas zu schwärmerisch klingen, fügt sich jedoch prima ins Regal, irgendwo zwischen James Brown und John Coltrane. Solange man dazu tanzen kann, ist auch mehr Meinung auf dem Dancefloor völlig okay. HARALD FRICKE
Armand van Helden: Killing Puritans (ffrr; eastwest)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen