Die Orthodoxen mobilisieren

Der Konflikt zwischen Kirche und Regierung in Griechenland verschärft sich

BERLIN taz ■ Mit dem populistischen Erzbischof Christodoulos an der Spitze mobilisiert der Klerus der orthodoxen Kirche in Griechenland eine militante Minderheit seiner Gläubigen gegen die Entscheidung der Regierung Simitis, auf dem neuen Personalausweis die Religionszugehörigkeit nicht mehr zu verzeichnen.

Die orthodoxe Kirche, der 97 Prozent aller griechischen Staatsbürger angehören, sieht die Entscheidung als Abwertung ihrer nationalen Rolle. Sie will erreichen, dass die Religion im Ausweis steht, wenn der einzelne Bürger es wünscht. Doch damit würde das Papier erst recht zum Beleg für die allein griechisch machende Konfession. Als Simitis nüchtern feststellte, die Entscheidung gehe die Kirche nichts an, mobilisierte die Synode der orthodoxen Kirche unter Berufung auf die göttliche Inspiration zu einer Art „heiligem Krieg“. 50.000 Glaubenskämpfer kamen am Mittwoch nach Thessaloniki. Die Demonstranten, mit Kreuzen und byzantinischen Bannern ausgestattet, behaupteten auf ihren Plakaten, dass Griechenland und die orthodoxe Religion ein und dasselbe seien. Dies ist auch die Botschaft des Erzbischofs, der die Ausweisentscheidung der Regierung als einen „Putsch“ bezeichnet, der den „christlichen Charakter des Staates“ beseitigen wolle.

Tatsächlich basiert die Macht der Kirche – und ihr materieller Reichtum – auf der Gleichsetzung von Orthodoxie und Griechentum. Dieser Anspruch widerspricht dem Prinzip des laizistischen Staates, dem sich das EU-Mitglied Griechenland in langsamen Schritten anzunähern versucht. Artikel 3 der Verfassung benennt die Orthodoxie noch immer als „vorherrschende Religion“, was der in derselben Verfassung verbürgten Religionsfreiheit widerspricht. Es ist daher kein Wunder, dass die nicht orthodoxen Griechen – also Katholiken, Protestanten, Zeugen Jehovas und Muslime – in den neuen Ausweisen einen ersten Schritt zur Beseitigung der zahlreichen orthodoxen Privilegien sehen.

Gerade die sind es, die Christodoulos durch die Mobilisierung der „rechtgläubigen“ Griechen schützen will. Die hysterische Reaktion der Kirche zeigt freilich, wie sehr sie auf die Insignien der Macht angewiesen ist und wie wenig sie auf ihre theologische Ausstrahlung vertraut. Doch Christodoulos hat mit seiner Strategie, das Kirchenvolk zu mobilisieren, wahrscheinlich einen strategischen Fehler begangen. Denn damit wird der Protest der Kirche von obskurantistischen Kräften dominiert, deren Auftreten an ein Kostümfest mit dem Thema „finsteres Mittelalter“ erinnert.

Die Mehrheit der Bevölkerung will solchen Mummenschanz nicht. Und selbst innerhalb der Kirche regen sich Kräfte, die den Kurs der Scharfmacher nicht mitmachen wollen. Auch der in Istanbul residierende Patriarch Bartholomäus stärkt der Regierung Simitis den Rücken. Dagegen stellt sich die Oppositionspartei Nea Dimokratia an die Seite des Erzbischofs. Doch die Regierung ist entschlossen, dieser geballten Front im Namen des „modernen Griechenland“ nicht nachzugeben. Schon gar nicht zu einem Zeitpunkt, da auf dem EU-Gipfel die Aufnahme Griechenlands in die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion beschlossen wird. Doch wenn Simitis und seine Minister am Wochenende aus Portugal zurückkehren, werden sie der griechische Realität erneut ins Auge sehen müssen. Für nächsten Mittwoch hat die Kirche zur zweiten Großkundgebung in Athen aufgerufen. NIELS KADRITZKE