: Graswurzeln im Dreyeckland
„Als Schwuler oder Lesbe kann man in Freiburg prima leben.“ Sagen die einen. „Viel zu öde“, meinen die anderen. Und beide haben recht. Im grün-katholischen Mischmilieu der Universitätsstadt mit ihren dreißigtausend Studierenden (ein Sechstel aller Einwohner) haben sich so viele Selbsthilfe-, Beratungs-, Sportgruppen und andere Vereine gegründet, dass man angesichts der Größe der südbadischen Metropole nur staunen kann.
Oder auch nicht. Schließlich ist man im Dreyeckland seit Mitte der Siebzigerjahre (Stichworte: Anti-Atom-Bewegung, Häuserkampf) bestens erprobt in puncto Graswurzelpolitik. 1985 gründete sich mit der Rosa Hilfe die erste schwul-lesbische Beratungsstelle in der Stadt, die mit ihrer Informationsarbeit auch heute noch regen Zulauf hat.
Seither kann man in Freiburg schwul-lesbisch wandern, Karten spielen, Motorrad fahren und singen. Können sich schwule Väter treffen und Lesben Radio machen. Mit der ersten Demonstration zum Christopher Street Day 1989 hatten Homos beiderlei Geschlechts in Freiburg auch ihr öffentliches Coming-out.
Dennoch sind die verschiedenen Gruppen fast ausschließlich auf das Engagement ehrenamtlicher Mitglieder angewiesen ist. Die Stadt Freiburg bezuschusst die Rosa Hilfe gerade mal mit sechstausend Mark pro Jahr. Und das ist schon viel, halten die Politiker in Baden-Württemberg ihr Säckel bei schwulen oder lesbischen Projekten sonst doch gerne verschlossen.
Das scheint sich nun zu ändern. Mit Walter Krögner von der SPD sitzt seit einem guten halben Jahr der erste offen schwule Politiker in einem Gemeinderat im Südwesten.
Dringend notwendig sei das, findet Reiner Heß, Apotheker in Freiburg und zu seiner Studienzeit einer der Mitbegründer der Rosa Hilfe. Schließlich agiere die Stadt, wenn es schwul-lesbische Lebensformen betrifft, „ziemlich moralinsauer“.
So wurde beispielweise das Vorhaben, eine homosexuelle Disco in Freiburg zu etablieren, mit nebulösen städtebaulichen Verordnungen torpediert. Auch dürfen laut Ratsbeschluss in den Zeitungen der Stadt keine Sexanzeigen mehr erscheinen.
Viele Schwule scheinen sich aber mit dieser spießigen Seite von Deutschlands Ökohauptstadt abgefunden zu haben – eine schwule Sauna musste mangels Nachfrage kürzlich geschlossen werden.
Gerade Jüngere haben damit aber so ihre Probleme. Geht man in Freiburg aus, treffe man in den zwei oder drei Schwulenbars immer die gleichen Leute, sagt Jürgen Lillteicher, der an der Universität im Fach Geschichte promoviert. Man kenne sich, schließlich laufe vieles in Kleingruppen ab.
Das erkläre auch den tendenziell inzestuösen Charakter schwul-lesbischen Lebens am Rande des Schwarzwaldes. Viele fliehen deshalb am Wochenende Freiburg.
Um ein größeres Angebot in Anspruch nehmen zu können, werden dann auch schon mal einige Kilometer zurückgelegt. Schließlich liegen Basel, vor allem aber Zürich und Mannheim nicht gerade vor der Haustür.
Wollen Freiburgs Homos an den zentralen Veranstaltungen zum diesjährigen CSD in Baden-Württemberg (29. Juli) teilnehmen, müssen sie das Städtchen am Kaiserstuhl erneut verlassen. Dann in Richtung Stuttgart.
THORSTEN PILZ
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