: Sex, Slips und Schlüpfer
Lange zogen Schwule in die Großstädte, um dort ihr Coming-out zu zelebrieren. Beizeiten haben sie sich aber auch inkleineren Orten ihre Szenen geschaffen, wo es sich völlig ungeniert leben lässt.Ein Beispiel, notiert
von GEORG JAUKEN
Oldenburg – 160.000 Einwohner, Universität, viel Land rundherum. In einer der beiden Homobars, dem „Schwarzen Bären“, läuft ein Porno. Die Hauptdarsteller tragen auffällige Tätowierungen. Tattoos, die genauso aussehen wie die der beiden Männer, die dort vor dem Spiegel tanzen.
Wochen später das Treffen bei „Boah! Men’s Underwear“, dem schwulen Unterwäscheladen schräg gegenüber dem „Bären“. Bernd Poppe spricht über die Schwierigkeiten, auf der Bühne den Vorzeigeschwulen in einem Heterostück zu spielen. Mit Handtäschchen und im Glitteranzug für Lacher zu sorgen ist seine Sache nicht. Wenn er es dennoch tun muss, fragt er sich, ob er nicht den Beruf verfehlt hat. Bei allem anderen, was er macht, kommen solche Zweifel nicht auf. „Es gibt drei Sachen, die ich kann“, sagt Bernd, „und die tue ich: mich produzieren, Leute unterhalten, Sex machen.“
Die „kreischende Schwulette“ muss der 39-jährige Schauspieler nur selten geben. „Die Leute denken dann, alle Schwulen seien so. Das ist das Schlimme.“ Lieber spielt er einen heterosexuellen Liebhaber, der seine Frau betrügt. Wie zuletzt in „Nächstes Jahr, gleiche Zeit“ von Bernhard Slate im Bremer „Ernst-Waldau-Theater“, einem Boulevardtheater im Stadtteil Walle. Bei den Kritikern fiel das Stück sang- und klanglos durch. Dem Publikum hat’s gefallen. Was Bernd freut. Schließlich entwarf er die Bühne, führte Regie und spielte die männliche Hauptrolle.
Bernd ist seit fünfzehn Jahren Schauspieler. Ausgebildet an der Musicalschule von Hedi Höpfner in Hamburg, spielte er den Rudi in „Bent – Rosa Winkel“, wirkte in mehr als hundert niederdeutschen Volksstücken und Boulevardkomödien mit. Außerdem war er zehn Jahre lang Bernd Kastendiek, der schwule Sohn in der Hörfunksoap „Kastendiek und Bischoff“, die nach über vierhundert Folgen dem Rotstift bei Radio Bremen zum Opfer fiel. Zurzeit laufen Wiederholungen bei NDR und MDR.
Der Mann an seiner Seite – der, der ebenfalls im Porno zu sehen war – ist seit acht Jahren Carsten Schipke (33). Die beiden trafen sich zum ersten Mal nachts im Bremer Bürgerpark. Damals wollte Carsten noch Lehrer werden, doch schon der erste Lehrversuch geriet zum Desaster. Mit Kindern wollte er nichts mehr zu tun haben. Als Bernd und Carsten eines Abends nach wildem Sex in einer Kneipe saßen und gemeinsame Pläne schmiedeten, schossen die Ideen nur so durch den Raum. Für ein Theater à la „Schmidt’s“ in Hamburg erschien ihnen Bremen zu klein. Und Oldenburg, rund vierzig Kilometer entfernt und noch nicht mal halb so groß, gefiel ihnen ohnehin besser. Da wollten sie was aufziehen. Allein, einem Varieté gaben sie dort noch weniger Chancen.
Was also tun? Bernd: „Es sollte auf jeden Fall was mit Männern zu tun haben.“ Schließlich war das Einzige, was sie wirklich interessierte und was sie konnten, Sex mit Männern. Ob schöne, dicke oder dünne Männer, mit Bart oder ohne – das ist ihnen egal. Bernd und Carsten wollten Männer ausziehen und wieder anziehen. Was lag näher als die Idee vom Unterhosenladen?
Bernd kündigte seinen Schauspieljob. Im Oktober 1995 ging es los, ihre gesamten Ersparnisse gingen drauf. Zwar stapeln sich in Bernds Kleiderschrank vierhundert Slips und Schlüpfer – doch im Laden fühlte er sich unterfordert. Er ging wieder zum Theater. Heute ist er selten im Geschäft, bleibt als Regisseur im Hintergrund. „Das ist mein Stück, aber Carsten muss es spielen.“
Und der spielt die Rolle gern. Slips und Badehosen an den Mann zu bringen ist seine leichteste Übung. Einen Kaffee gibt’s immer. Ein Gespräch auch. Auf den Kaffeebechern und Plakaten – Fotos von Bernd, mit einladendem Blick. Als „höheren Zweck des Ganzen“ betrachtet Carsten „Seelsorge“ und Beratung. Mal hilft er beim Coming-out, mal erklärt er einem 63-Jährigen, wie ein Dildo einzusetzen ist.
Denn damit kennt er sich aus. Carsten mischt seit kurzem in dem Geschäft mit, in dem Bernd bereits seit 1988 Profi ist: im schwulen Pornobusiness. Generalprobe war für Carsten ein Fotoshooting beim Berliner Fotografen Michael Taubenheim. Bernd, groß, drahtig, braun gebrannt, wollte mit Taubenheim Fotos für eine Safer-Sex-Kampagne der Deutschen Aidshilfe aufnehmen. Es fehlte ein Partner. Doch Carsten, Stirnglatze, kräftig, unauffällig, litt an der „Espelkamper Moral“. Was würde Mami denken beim Anblick eines Plakats, auf dem ihr Sohn einen Schwanz lutscht? – Mami hat es überlebt.
„Bei der Arbeit selber war ich völlig locker“, erinnert sich Carsten. Es wurden rund tausend Aufnahmen gemacht. Mal stimmte das Licht nicht, mal etwas anderes. „Den Präser umzudekorieren und dabei einen Ständer zu haben, ist gar nicht so leicht“, weiß er heute zu erzählen. „Das war tatsächlich harte Arbeit.“ Als Carsten später die Aufnahmen sah, war er stolz wie Oskar.
Dass Bernd seinen Freund zu den Aufnahmen überredete, hatte vor allem einen Grund: Er wollte nicht noch eine Beziehung gefährden – wie damals in den Achtzigerjahren, als sein damaliger Freund, der von nichts wusste, zufällig Hardcorefotos entdeckte und ihn vor die Tür setzte.
Doch das war auch eine „erzieherische Maßnahme“, wie Bernd es nennt. Carstens anfängliche Bedenken seien nur Ausdruck einer „Angst vor sich selbst“ gewesen. „Er wollte sich nicht eingestehen, dass es ihm Spaß macht.“ Doch Carsten gestand. Die Rechnung ging auf.
Begibt sich jemand so in die Öffentlichkeit, kann er nicht mehr zurück, glaubt Bernd. Angst vor Ablehnung hat er nicht, eine Alternative zu diesem Leben sieht er eh nicht. Bernd bezeichnet sich als „Exhibitionist vor dem Herrn“. Schon als der erste gemeinsame Porno, „Mattenfickerbande“ von Frank Ripploh („Taxi zum Klo“), in einer Preview im Oldenburger „Schwarzen Bären“ lief, waren die Reaktionen einhellig. Das Publikum war angegeilt bis interessiert, erinnert sich Bernd. Aber vor allem die Reaktion eines Bekannten blieb ihm in Erinnerung: „Eigentlich wollte ich das auch“, gestand der, „aber ich trau mich nicht.“
Sex in der Öffentlichkeit gehört für beide seit langem zum festen Repertoire. Darkrooms ziehen sie magisch an, und erst im Scheinwerferlicht finden sie es richtig geil. Zwei- oder dreimal im Jahr leben sie sich in Amsterdam aus, treiben es in Bars und auf Billardtischen. „Da wollen die Leute das“, sagt Bernd. „Da kriegst du noch einen Drink spendiert.“
In der oldenburgischen Provinz läuft das ein wenig anders. Da kann sich Bernd nicht einfach so an der Hundeleine durch die Straßen führen lassen. In Oldenburg haben die Schwulen heiße Träume. Und sie reden darüber. „Aber das war’s.“ Nachahmer jedenfalls haben Bernd und Carsten dort noch nicht finden können, „dafür Mitmacher jede Menge“.
Ihr „Prinzip Ehrlichkeit“ ist für Bernd und Carsten zum Erfolgsrezept geworden. Es ist die Richtschnur im Unterwäschegeschäft. Wenn Carsten einem mit sich selbst unzufriedenen Kunden sagt, dass nicht die Klamotten, sondern Fettpolster dick machen. „Wenn du ehrlich bist, hast du auch Erfolg.“ Für viele Schwule gehöre die Lüge zum Leben, meint Bernd, und das hasse er. „Wir machen viel Scheiß, aber wir lügen uns und andere nicht an.“ Szeneunkereien, weil jemand Bernd oder Carsten allein im Darkroom traf, blieben stets wirkungslos. Bernd: „Mittlerweile wissen die Leute: Wir beide lieben uns und werden ewig zusammen bleiben.“
Von der Bühne über den Unterhosenladen bis zum Pornogeschäft: Das Leben als Bühne. „Geh raus und sag, so bist du“, ist Bernds Credo. Demnächst wollen Bernd und Carsten wieder mit Frank Ripploh drehen. Diesmal wird es ein Porno, der in der Uniformszene spielt. Es soll nicht ihr letzter sein, und auch darüber hinaus wollen sie die Schwulenszene weiter „bereichern“. Viel wollen sie nicht verraten. Aber: „Wer uns kennt“, sagt Bernd, „weiß, dass wir es wahr machen.“
Und: Sie werden in der Provinz bleiben. Oldenburg sehen beide als „Wahlheimat“. Hier, so sagen sie, können sie sich auf der Straße küssen, ohne Prügel zu riskieren. Bei der CSD-Parade, der größten Demo im ganzen Jahr, wollen sie zwei von zehntausend Schwulen und Lesben sein. Dass so viele Homos von hier aus nach Hamburg, Köln oder Berlin gehen, verstehen sie nicht. Läge ihnen die Stadt nicht so am Herzen, gäbe es für sie ohnehin nur eine Alternative: Amsterdam.
GEORG JAUKEN, 40, lebt und arbeitet als freier Journalist in Oldenburg
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