Nicht immer kamen sie heil runter

Vor 30 Jahren fuhr das erste MTB zu Tal. Ein Ereignis, dass die Rad fahrende Welt erschüttert hat

Kalifornien, Anfang der Siebzigerjahre. Man trug das Haar lang und das Surfbrett ständig unterm Arm. Hippie zu sein – beziehungsweise „Blumenkind“, wie es hier zu Lande hieß – war völlig okay. Auch für Gary Fisher. Der allerdings gehörte einer speziellen Fraktion an: den Dirt Riders. Das waren Biker, die auf ihren Clunkers („Klapperkisten“) runter von den Wegen wollten, rein in die Natur. Aber auch ihnen ging es genau genommen um nichts anderes als um Fun. Um Speed und Thrill auf mörderisch schnellen Abfahrten.

Heute ist Fisher eine Legende. Er hat das Rad nicht neu erfunden, nein, viel mehr. Fisher ist der „Godfather of Mountainbiking“. So jedenfalls sieht’s die Firma Sigma Sport in ihrer Anzeigenkampagne, für die Gary jetzt den Kopf herhält. Hübsch bekleidet mit einem Jackett im Blumenmuster-Design. Remember the good old times. Erinnerung an die Kindertage des Mountainbiking, als noch keiner ahnte, dass das MTB eine Fahrradwelle ohnegleichen begründen sollte.

Natürlich hieß das MTB damals noch anders, und vor allem sah es anders aus. Klapperig eben, schrottreif. Federungen? Lachhaft! Bestenfalls waren es behäbige Velos mit geschwungenem Oberrohr und breiten Reifen, weswegen man sie auch Ballooners oder Fat-Tire-Bikes nannte. Oftmals gab es nicht einmal eine Vorderbremse. Dabei besaßen Gary Fisher und Charles Kelly – ein weiterer aus der heutigen Hall of Fame des Mountainbiking – damals noch anständige italienische Rennräder. Ihr Vorbild: Eddie Merckx.

1971 fuhr Fisher, 20, Straßenrennen. Kelly, fünf Jahre älter, jobbte als Roadie. 1972 fanden sie sich in einer Biker-WG in Fairfax zusammen. Kelly erinnert sich, wie Fisher einzog: mit dem „größten Haufen von Fahrradteilen, den ich je gesehen hatte“. Noch im selben Jahr gründeten sie gemeinsam mit anderen Bike-Freaks wie Otis Guy, Tom Ritchey oder Fred Wolf den Velo-Club Tamalpais. Bald galten sie als Durchgeknallte, die beim Downhill am Marin County oder in den Canyons rund um den Mount Tamalpais weder Genick- noch Materialbruch fürchteten.

Doch es lief fantastisch, bergabwärts wenigstens. Von einigen bösen Stürzen mal abgesehen. Und bergauf hieß es schieben oder die Ballooners auf einen Truck laden. Was Fisher keine Ruhe ließ: 1975 verpasste er seinem Clunker eine Kettenschaltung - womit es zuerst einmal stattliche 21 Kilogramm wog. Fisher tüftelte weiter und machte sich einen Namen mit weiteren Verbesserungen wie Schnellspanner am Sattelrohr und Daumenschalthebel. So langsam bekamen die Clunkers ihr heutiges MTB-Gesicht.

Auch sportlich lief’s rund. Im Herbst 1976 fand das erste MTB-Rennen gegen die Uhr statt. Auf einem der steilsten Hügel des Mount Tamalpais. Die Strecke fiel auf drei Kilometer Länge 400 Höhenmeter ins Tal hinab. Der Kurs, „Repack“ getauft, mutierte im Laufe der Zeit zu einem absoluten Klassiker unter den Offroad-Races. Den Streckenrekord hält bis heute Gary Fisher mit vier Minuten und 22 Sekunden. Doch bereits 1984 fuhren die Dirt Riders das letzte „Repack“-Rennen. „Zu viel Trubel in einer sonst sehr verschlafenen Gegend“, befanden die Behörden.

Zumindest Gary Fisher war das zu der Zeit womöglich schon egal. Er hatte die Nase im Trend, gründete die erste MTB-Firma und avancierte immer mehr zum Guru respektive Godfather des Mountainbikings. Für einen Dirt Rider, der früher nichts als seinen Spaß haben wollte, eine hübsche Karriere. UTE FRIERICHS

Zitate aus dem Buch „Bike History – Die Erfolgsstory des Mountainbikes“ von Christian Penning (Klasing Verlag).