: Heißer Kampf der Kursbuchleser
■ In Wildeshausen wurde jetzt mit dem ersten Kursbuchlese-Wettbewerb Sportgeschichte geschrieben. Das Publikumsinteresse war zwar gering. Doch das wird beim nächsten Mal anders
Bremen Hbf ab 11:51 / Delmenhorst an 12:01, ab 12:13 / Wildeshausen an 12:38 - Das ist die Sprache, die man verstand, am Samstag im Wildeshauser Lindenhofkino. Kaum einer hat es gemerkt, aber hier wurde Sportgeschichte geschrieben. Denn wann wird heutzutage noch eine ganz neue Wettbewerbsart entwickelt, komplett mit Regelwerk, Regionalverbänden und einem gefeierten Champion gleich beim ersten verbissenen Wettkampf? Der Verkehrsclub Deutschland rief zum ersten Kursbuch-Lesewettbewerb auf, und acht Wettstreiter kamen. Immerhin aus Kiel oder Braunschweig waren sie angereist: Eisenbahnbegeisterte, die passioniert im Kursbuch lesen und auf Fahrplanfragen nach heftigem Blättern in den vier dicken Kursbüchern der Deutschen Bahn eine Antwort fanden - nicht immer die richtige, aber immerhin!
Das Ganze kommt Ihnen irgendwie bekannt vor? Genau solch einen Wettbewerb gibt es in dem Kinofilm „Zugvögel -Reise nach Inari“, und von diesem waren einige Mitglieder des Verkehrsclubs so begeistert, dass sie die Fiktion zur Realität werden ließen. Die Sportart hatten sich die Filmemacher nur ausgedacht, aber dabei waren sie so detailverliebt und logisch vorgegangen, dass die Nachahmer gar nicht mehr viel dazuerfinden muss-ten. Jeweils vier Adepten in der Kunst des Kursbuchlesens müssen möglichst knifflige Zugverbindungen herausfinden, der Schnellste bekommt zwei, der Zweite noch einen Punkt, und nach mehreren Runden steht am Schluss der Kursbuchmeister fest.
Nun ist aller Anfang schwer, und das mussten auch hier die Veranstalter erfahren. Sie hatten zwar vorher ordentlich Werbung gemacht und waren überall für ihre tolle Idee gelobt worden, aber den Weg ins ferne Wildeshausen haben dann doch nur sehr wenige gefunden. Vielleicht lag es an der sehr ungünstigen Zugverbindung (der oben angegebene Zug war der letzte am ganzen Samstag), aber von den vielen Bahnbegeisterten, die es in unserem Ländle gibt, hatte sich nur eine Hand voll in Wildeshausen eingefunden. Gerademal acht Teilnehmer, die Organisatoren und zwei, drei Pressevertreter waren Zeuge bei dieser sportlichen Premiere. Es gab mehr Preise (ein Wochenende im schönen Wildeshausen, Gratis-Fahrscheine, Schirme und Kaffeetassen), ja sogar mehr Sponsoren als Wettstreitende, und weil das Regelwerk noch einiger Korrekturen bedarf, zog sich die Vorrunde (noch ohne Zeitlimit) in die Länge. Aber schon hier überzeugte der Champion durch sein souveränes Blättern und die schnellen Antworten. Ein Herr Sifker war allen anderen Teilnehmern weit überlegen, eine seiner Verbindungen war sogar besser als die vom Fragesteller lange ausgetüftelte Lösung, aber Herr Sifker arbeitet ja auch in einem Lokomotivenwerk. Der zweite Sieger ist Lokomotivführer - es gibt also schon so etwas wie Profis oder zumindest halbprofessionelle Kursbuchleser im Wettbewerb - wenn es denn nach diesem bescheidenen Anfang so richtig losgeht mit dem Wettkursbuchlesen, muss wohl über eventuelle Handicaps für Bahnangestellte nachgedacht werden.
Interessanterweise war keiner der Teilnehmer tatsächlich Auskunftsgeber in einem Bahnhof. Diese und ihr telefonischer Dienst „HAFAS“ waren auch der gemeinsame Feind der Teilnehmer und Veranstalter. Der Fragesteller konnte es sich auch nicht verkneifen, auf die fahrplanlichen Fehler im Film „Zugvögel“ hinzuweisen, und mit Trickfragen entpuppte er sich als recht gewitzt: Um eine Verbindung von Ludwigshafen nach Mannheim zu finden, die nicht über den Rhein führt, musste man schon darauf kommen, dass es noch ein zweites, viel kleineres Mannheim im deutschen Eisenbahnnetz gibt. Darauf ist dann auch keiner gekommen. Wenn Sie es gewusst hätten, wären Sie vielleicht der richtige Herausforderer für den (etwas streberhaft wirkenden) Champion Herrn Sifker. Der zweite Kursbuchlesewettbewerb soll dann an einem Bahnknotenpunkt stattfinden, aus Wildeshausen heraus war die letzte Busverbindung: ab 17.45 / Bremen Hbf an 19.01 Uhr. Wilfried Hippen
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