„Zechprellerei gehört zum guten Ton“

Der Kaufmann und Architektur-Professor Klaus Hübotter hat ein Nutzungskonzept für Bremens größtes zusammenhängendes Bauwerk entwickelt, den alten Hafen-“Speicher XI“

„Allüberall triumphiert der Kitsch, die Stein gewordene Arroganz, die brachiale Dummheit und die Spießigkeit“, schreibt der Bremer Bau-Unternehmer Klaus Hübotter. „Ob das daran liegt, dass die öffentlichen Auftraggeber so häufig von Banausen repräsentiert werden und die von den privaten Bauherren herausgefischten Architekten so oft nur noch Anbiederungsmöpse sind? Jedenfalls regiert die primitivste Marktkonformität und dementsprechend der ungebildetste Massengeschmack.“

Dieser zornige alte Mann Hübotter ist immer noch stolz darauf, dass er einmal in den 50er Jahren die links-kommunistische Zeitschrift „konkret“ mitgegründet hat. Er hat die Herausforderung angenommen, sich über den „Speicher XI“ Gedanken zu machen, das längste Bremer Bauwerk - mit 396 Metern so lang wie die Obernstraße. Seit 15 Jahren steht der Koloss leer und gammelt vor sich hin. Die Zwischendekken wurden 1910 mit einem modernen Material gegen die bedrohlichen Feuersbrünste in den Lagerhallen gebaut: Asbest. „So was können sie nur abreißen“, sagt der Kaufmann Hübotter. Und es wäre längst abgerissen, hätte nicht der Landesdenkmalpfleger den Koloss 1994 unter Denkmalschutz gestellt. Jetzt kann man nicht einmal die Fassade verändern, mehr Licht in die dunklen alten Speicher-Etagen hineinlassen und eventuell in der Parterre-Etage Öffnungen für Schaufenster in das Gemäuer schlagen.

„Eine Kulturschande“ wäre der Abriss gewesen, sagt der Goethe-Liebhaber Hübotter. Er hat einen der kapitalkräftigsten Investoren in der Hamburger Speicherstadt, Klaus-Henning Bruns, gebeten, einen Rat zu dem Gebäude abzugeben. „Verzweifelt“ fuhr Bruns nach Hamburg zurück und schrieb seine Diagnose: „Zustand schlecht, De-cken zu niedrig, Lage desolat: Für mich kommt das Projekt Speicher XI mit Sicherheit nicht in Frage.“

1996 hatte das Büro Stechow & Tilgner eine Expertise über das Bauwerk gemacht. Ergebnis: Mit 100 Millionen Mark ließe es sich für moderne Zwecke herrichten. „Da kostet der Quadratmeter mehr als bei einem Neubau“, sagt Hübotter. Mieten von 25 Mark seien an dem Ort nicht zu erzielen. Solche Expertisen führten dazu, dass nichts passiert und das Baudenkmal vor sich hin gammele. Viel Geld führe zu schlechter Architektur, aber „Not macht erfinderisch“, lehrt Hübotter seine Architektur-Studenten.

In den Archiven des Planungsamtes fand Hübotter die Studie einer ABM-Kraft von 1988, Christian Schilling heißt der Mann. Der hatte heftig dafür plädiert, den damals schon weitgehend leer stehenden Speicher in seiner ursprünglichen Form zu erhalten. „Der Abriss ließe Bremen um ein wichtiges, unwiederbringliches Bauwerk aus der Zeit, da die Stadt reich war, verarmen“, schrieb er. Das Besondere des Gebäudes liegt in seiner massiven Größe, erkannte der Mann, gerade die müsse erhalten bleiben. Auch wenn gerade darin die Problematik einer Nutzung liegt. Ihm war klar, dass eine Nicht-Nutzung auf Dauer einem Abriss gleichkäme. „Entsprechend seinem ursprünglichen Zweck lässt sich der Speicher am besten als Lagerhaus verwenden“, schrieb Schilling vor zwölf Jahren. Handwerksbetriebe, Veranstaltungszentren könnten dort einen interessanten Ort finden - „Diskotheken“. „Die Einrichtung einer durchwachsenen, lebendigen Zelle würde das umliegende Gebiet von Walle aufwerten und attraktiver machen.“ Und: „Wünschenswert wäre die Öffnung zum Kai, die Orientierung zum Wasser.“

Hübotter war begeistert von diesen paar Seiten, die in der Schublade des Planungsamtes vergammelten wie der Speicher XI im Überseehafen-Gebiet. „Wir meinen, dass er vollkommen Recht hat“, schrieb er in seine Expertise von 1999. Aus heutiger Sicht könnte man Ateliers in die Aufzählung mit einbeziehen, Hübotter denkt auch an „Magazin-Läden“, die billig und ohne Schaufenster Sachen anbieten. 30 Magazin-Läden würden in die 396 Meter Parterre-Front passen. Entscheidend: Der Preis muss stimmen. Drei Mark pro Quadratmeter, mehr darf es im Durchschnitt nicht kosten. Für drei Mark könnten alle möglichen Leute kommen und sich ein Stück der riesigen Lager-Flächen anmieten, 64 Hallen mit jeweils 450 Quadratmetern stehen zur Verfügung.

„Ein Bazar darin könnte sich entwickeln“, kommt er ins Schwärmen. „Das wird nicht Lager bleiben, aber das braucht Zeit.“ Er stellt sich einen „Wiederbelebungsversuch“ vor wie es die Neuanpflanzung auf Helgoland war, die sein Vater nach dem Kriege organisierte. Das habe auch mit Strandhafer angefangen. Den Anfang müssen Leute machen, die kreativ sind, die den Reiz dieses Bauwerkes zu schätzen wissen und nicht das Geld haben, sich hinter sterilen repräsentativen Fassaden zu verstecken. „Die Nutzung wird dann langsam hochwertiger.“

Und was ist mit der Öffnung zum Wasser, von der die ABM-Kraft Schilling vor zwölf Jahren sprach? Vor dem lang gestreckten Bauwerk liegt heute die trostlose Sandwüste des zugeschütteten Übersee-Hafenbeckens. „Sehen Sie mal“, zeigt Hübotter auf ein altes Foto, das ein intaktes Hafenbecken mit seinen Schiffen zeigt. Das Wasser vor dem einzigen Bauwerk in Bremen, das ein Pendant zur Speicherstadt in Hamburg ist, wurde zugeschüttet. Auf der Fläche soll der Großmarkt mit seinem Verkehrsaufkommen morgens ab 4 Uhr entstehen. Was wäre möglich, wenn ... „Ich habe mir nicht erlaubt, darüber nachzudenken“, sagt der Kaufmann Hübotter, „der Großmarkt kommt. Dagegen anzugehen ist witzlos. Ich muss damit rechnen, wenn ich über den Speicher nachdenke.“

100 Millionen Mark für eine aufwendige Wiederbelebung des historischen Speichers hat die Stadt nicht, 200 Millionen Mark für das Zuschütten eines Hafenbeckens und für den Umzug des Großmarktes sind kein Problem. „Nur potentielle Zechpreller“, sagt Hübotter seinen Studenten, „bestellen und essen drauflos, ohne zu wissen, ob sie anschließend auch zahlen können. Beim öffentlichen Bauen gehört die Zechprellerei fast schon zum guten Ton.“

Not macht dagegen erfinderisch. Nicht 100, sondern 14 Millionen Mark würde Hübotter ausgeben, um den „schlafenden Riesen“ zu einem 396 Meter lang gestreckten Zentrum für kreative und andere Nutzungen zu machen, und Hübotter meint das ernst: Er würde das, was er vorgeschlagen hat, auch selbst als Wohnungsbau-Unternehmer umsetzen. Das Focke-Museum ist schon gewonnen, es würde im vorderen Teil des Speichers XI ein Hafen-Museum einrichten, ein Teil würde als Magazin für das Focke-Museum gebraucht. Das Rundfunk-Museum könnte hier einen Platz finden, eine Kneipe käme dazu. „Die muss fertig sein, wenn die Bauarbeiter für den Großmarkt kommen“, sagt Hübotter. Die wären die ersten zahlenden Kunden, und wenn dann ab 4 Uhr morgens beim Großmarkt Betrieb ist, dann muss diese Kneipe auch um vier öffnen. Keine schöne, neue Plastik-Welt, sondern richtiges Leben. K.W.