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Berlin Mitte tanzt jetzt auch am Mittelmeer

Multimediakünstler aus Berlin haben die Clubkultur von Mitte 2.000 Kilometer in den Süden transportiert und präsentieren auf dem Sonar-Festival in Barcelona vor 50.000 Menschen drei Tage lang ihre Heimatklänge, Installationen und interaktive Tanzvergnügen als neuen Exportschlager

Kühl ist es hier unten und dunkel. Eben noch dröhnte die spanische Sonne auf die Besucher herab und Drum’n’Bass aus mannshohen Boxen über den Hof. Wer aber die Treppe herabfindet, gewöhnt sich an den Dämmer und taucht in tiefschwarze Gänge ein. Monitore, bewegte Bilder überall, Samtsessel. „Fette alte Hure“, steht da an der Wand. „Gefällst uns. Berlin, ich liebe Dich. Hast Klasse. Schnell, groß, grün.“ Berlin ist hierher nach Barcelona gekommen, auf ein internationales Festival für elektronische Musik und Kunst. Drei Tage und Nächte läuft die „Sonar“. Stellen Multimedia-Künstler aus, was das Nachtleben 2.000 Kilometer nördlich prägt.

„Wir möchten einfach zeigen, was in Berlin los ist“, sagt Nana Yuriko von CrazyWorldProductions. Jedes Jahr präsentiert Sonar eine Stadt und die Künstler, die an ihrer Szene mitbasteln. Die 26-jährige Grafikdesignerin fuhr nach Barcelona, stellte den Organisatoren ein Konzept vor. Eigentlich sollte Montreal eingeladen werden, aber Yuriko überzeugte mit „represent!Berlin“: „Die Sonar-Leute kamen nach Berlin, wir haben ihnen Clubs und Bars gezeigt. Sie waren begeistert“, erzählt sie. Mit ihrer Partnerin Hadley Hudson bereitete sie seit Januar die Berlin-Präsentation vor. Fragte bei großen Agenturen an und bei Miniprojekten, erhielt einen Vertrag und einen Etat von Sonar. „Es ist halt eine Low-Budget-Sache“, sagt Yuriko, die deswegen einige Künstler wieder ausladen musste.

„Nach dem Mauerfall entstanden aus den zahllosen unbesetzten Freiräumen im Ostteil der Stadt kreative Gruppen, die sich zu hoch qualifizierten Mikrofirmen entwickelten“, heißt es auf einer riesigen Tafel am Eingang. 50 dieser Gruppen sind mitgereist oder vertreten, hier in den Kellerräumen des Museo de Arte Contemporáneo. Zunächst werden kommerzielle Firmen vorgestellt: Mediamorph, Die Gestalten, Kitty-Yo. Zu ihren Kunden gehören MTV, Siemens, die Love-Parade-Veranstalter.

Weiter hinten geht es zum Bereich „Visuals“. Hier sind Ideen versammelt, die die Clubnächte daheim bebildern. Projektionen, Flyer, Plakate. Kleine Höhlen mit Computern darin, um durch Net-Art zu surfen. Dahinter Videoanimationen. Dort lassen sich die Leute zum Gucken nieder, wie im Club, wenn sie genug getanzt haben. Gelächter klingt aus dieser Ecke, wenn Insekten zu Elektrosounds steppen. Oder sich John Travolta in Videos von Safy Sniper wieder und wieder einen runterholt.

In „Clubmosphere“ hat Yuriko einen ganzen Dancefloor entstehen lassen. Wände verschwinden hinter 3-D-Projektionen, mitten im Raum dreht sich der Fernsehturm mit einer Discokugel. „Wollt ihr euch den Clubguide angucken?“, fragt Tobias Goetz und setzt strahlend zwei Spaniern Kopfhörer auf. Der Medieninformatiker hat in Berliner Läden wie dem Maria am Ostbahnhof oder dem Tresor gefilmt und daraus ein interaktives Spielzeug gemacht. Mit der Maus können die beiden Jungen aus Barcelona durch die Räume streifen und landen mit Klick zum Originalsound auf der Tanzfläche.

In einem anderen Raum haben sich die Berliner Comic-Art-Maler Jim Avignon und DAG zu einem Live-Painting eingefunden. Wo „represent!Berlin“ beginnt, bemalen die beiden in beklecksten Hosen meterlange Papierwände. Sie wollen, sagt Avignon, „mit analogen Arbeiten einen Gegenpol zur digital überladenen Kunstwelt schaffen“. Deswegen malen sie leicht und schnell und bunt, denn sie wollen Änliches wie die Computerfrickler. Nur machen sie es mit Pinsel und Farbe. Das Festival mögen sie und nennen die Besucher „vereinigte progressive Clubgänger“.

Genau die sind in den großen Innenhöfen des Museums zum Abend hin immer zahlreicher erschienen. Hocken beisammen, diskutieren, trinken Bier, schlendern durch Musikbusiness-Stände. Drei Bühnen gibt es über den Komplex verteilt, auf denen DJs aus Japan, England, Frankreich am Werk sind oder Live-Acts laufen. Laut ist es, draußen drängen die Leute, die hereinwollen. Die drin sind, fangen an zu tanzen. „Etwas wie die Sonar kann es, glaube ich, nur in Barcelona geben“, sagt Moritz Herder. „Die Leute hier begreifen elektronische Musik als Kunstform.“ Der Berliner ist das zweite Mal hier. Berlin findet er gut präsentiert, „sehr atmosphärisch, die haben die Richtigen gefragt.“

Mit ihren 50.000 Besuchern soll die Sonar etwas wie eine Vorauskopplung für ein größeres Projekt in Berlin sein. Nach ein paar Stunden Pause wird Nana Yuriko später genauso wie Moritz Herder und alle anderen vor die Stadt fahren. An den Ort, wo Sonar nachts stattfindet. Auf einem riesigen Sportgelände gibt es an vier Stellen gleichzeitig Musik und Performances, dahinter beginnt das Meer. Designer und Computerbastler werden hier tanzen, bis der Vollmond untergeht. MARGRET STEFFEN

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