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Die neue Glücksuche

DIE NEUEN UTOPIEN (2): Nicht Individualisierung, sondern Zugehörigkeit ist die heimliche Sehnsucht im 21. Jahrhundert. Denn in Beruf und Partnerschaft steigt der Wettbewerbsdruck

von BARBARA DRIBBUSCH

Die Erkenntnisse der Glücksforschung sind umwerfend banal: Wer einen Job hat, eine Familie oder nahe Freunde und auch noch einer Religion angehört, ist eher zufrieden. Wer hingegen keine Arbeit hat, keinen Partner und auch sonst kaum sozial eingebunden ist, trägt ein größeres Risiko, sich unglücklich zu fühlen. So einfach, aber auch so ungerecht ist das Leben. Jede Politik, die sich mit Utopien beschäftigt, kommt an diesen Erkenntnissen nicht vorbei.

Denn um Zugehörigkeiten ist in der Marktgesellschaft ein heimlicher Verteilungskampf entbrannt. In den wichtigsten Netzwerken der Arbeit, Familie und Partnerschaften sind die Individuen einer zunehmenden Selektion ausgesetzt, an der sie sich auch selbst beteiligen. Die Angst, sozial abgehängt, nicht mehr beachtet zu werden, wird die Grundangst des 21. Jahrhunderts. Umgekehrt ist die Aufmerksamkeit der andern die „unwiderstehlichste Droge“ von allen, glaubt der Sozialphilosoph Georg Franck. Zuwendung bekommen und geben zu können, ohne ständig von Selektion, Bewertung und Ausgrenzung bedroht zu sein, entwickelt sich zur neuen Glücksutopie.

Beweise für die These finden sich in den Arbeits- und Partnerschaftsmärkten. Noch vor neun Jahren gerieten übers Jahr verteilt rund fünf Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit, etwas weniger fanden einen neuen Job. Im vergangenen Jahr hingegen meldeten sich mehr als sieben Millionen Menschen erwerbslos, etwa ebenso viele begannen eine neue Arbeit. Immer mehr Leute erleben Phasen der Unsicherheit und erneuten Jobsuche. Der Soziologe Richard Sennett beklagt die „große Vereinzelung“ besonders in der „New Economy“.

Dabei müssen die Individuen im harten Wettbewerb zunehmend nicht nur ihr Wissen und Können, sondern ihre ganze Persönlichkeit zu Markte tragen. Auf die so genannten Schlüsselqualifikationen käme es im Jobmarkt an, betonen Personalexperten. Als Schlüsselqualifikationen gelten „Teamfähigkeit“, „kommunikative Kompetenzen“, „Flexibilität“. Das sind psychische Merkmale, weniger konkrete fachliche Fähigkeiten. Wer langsam ist, sich nur schwer in der Gruppe anpassen kann und keine Selbstsicherheit ausstrahlt, dem haftet das Image des „Verlierers“ an.

Fast noch selektiver als der Job- ist der Partnerschaftsmarkt. Die Chance, lebenslang eine stabile Familie zu haben, verringert sich stetig. Von den im Jahre 1950 geschlossenen Ehen hielten 90 Prozent ein Leben lang. Heute liegen die Chancen, dass die Ehe nicht geschieden wird, nur noch bei 65 Prozent. Wer sich aber nach einer Trennung wieder einen neuen Partner suchen will, muss sich erneut dem Markt aussetzen. Und dort zählt sexuelle Attraktivität als wichtigste Eintrittskarte in die Zweisamkeit.

Der Sex, meint der französische Autor Michel Houellebecq in einem oft zitierten Thesenroman, stelle in der Gesellschaft inzwischen neben der Wirtschaft ein „zweites Differenzierungssystem“ dar, das auf mindestens ebenso erbarmungslose Weise funktioniere. Wer sexuell attraktiv ist, bekommt in einem liberalisierten Beziehungssystem ständig Aufmerksamkeit. Wer aber als sexuell unattraktiv gilt, also weder Schönheit, Jugend, Charme, Bildung oder Wohlstand vorweisen kann, dem drohen Missachtung und Einsamkeit.

„Ich wünsche mir einen Freund, der sich mir zugehörig fühlt“, hat die Schauspielerin Hannelore Hoger, 56 Jahre alt, einmal gestanden und dabei die Abwertung älterer Frauen beklagt. Inzwischen hat sie sich einen Hund angeschafft.

Wer einmal sozial abgehängt ist, trägt ein höheres Risiko, auch in anderen Netzwerken ausgegrenzt zu werden. Unter ledigen und geschiedenen Männern sind unverhältnismäßig viele Arbeitslose, belegen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Umgekehrt werden Frauen nach einer Trennung nicht selten zu allein erziehenden Sozialhilfeempfängerinnen. Alleinstehende und Geschiedene sind die Altersarmen von morgen, heißt es in einer Studie des Bundessozialministeriums.

Doch die westlichen, hoch selektiven Gesellschaften haben ein Problem: die Überalterung, den Verfall. In zehn Jahren wird fast die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland älter als 45 Jahre sein. Eine Mehrheit wird also –heimlich oder offen – mit der Angst vor Abstieg und Ausgrenzung konfrontiert sein. Unter den arbeitslosen Akademikern steigt der Anteil der mittleren Altersgruppe. Bei den Partnerschaftsinstituten gelten ältere Frauen (wie auch arbeitslose Männer) als schwer vermittelbar.

Dabei ist offensichtlich, dass der Verfall schamhaft verschwiegen und geleugnet wird wie früher der Sex. „Alle wollen alt werden, aber keiner will alt sein“, meint der niederländische Biologe Midas Dekkers.

In einer hoch selektiven Gesellschaft geraten die Individuen solcherart in einen Zwiespalt: Sie beteiligen sich selbst am Wettbewerb und fürchten gleichzeitig, selbst ausgesondert zu werden. „Ich will keinem Klub angehören, der mich als Mitglied aufnimmt“, hat der Komiker Groucho Marx einmal gescherzt. Sich umgekehrt aber von jenen zu emanzipieren, die ausgrenzen, ist der wirksamste Widerstand gegen die Selektion.

Man erinnere sich an die 70er-Jahre, die Zeit der Antipsychiatrie. Damals wurden die Ver-rückten zum Projektionsschirm für innere Befreiung. Vielleicht dienen künftig andere Gruppen als Beispiele dafür, wie man Alternativen zu den Märkten entwickeln kann.

Beispiel Alleinerziehende: Hausgemeinschaften sollten Alternativen bieten zur Kernfamilie. Dann könnten Frauen oder Männer auch dann Kinder großziehen, wenn kein Partner (mehr) da ist. Partnerschaften wiederum sollten weniger eng an die übliche Rollenverteilung geknüpft sein. Wenn Frauen sich ihre Männer nicht mehr nach sozialem Status – und finanzieller Sicherheit – auswählten, wären neue, exzentrische Paarbindungen möglich. Ältere Paare, die noch zusammen sind oder sich neu gefunden haben, dürften ohnehin künftig heimliche Rollenvorbilder werden.

Beispiel Ältere auf dem Arbeitsmarkt: Bisher noch orientieren sich alle Jobs zu stark an den hoch produktiven Jüngeren. Es muss eine neue „Kultur des Rückzugs“ auf dem Jobmarkt geben, so wie dies in den USA und Japan schon der Fall ist. Dabei könnte man neue Firmen gründen, in denen die Mitarbeiter neue Beratungs- und Serviceleistungen anbieten, ohne den Stress eines Vollzeitjobs, aber auch mit geringerer Bezahlung.

Die Politik sollte dies unterstützen, etwa durch die Förderung neuer Lebens- und Hausgemeinschaften. Jobsegmente, in denen für Ältere, Mütter oder Väter endlich mal „qualifizierte Teilzeit“ angeboten würde, müssten zudem gefördert werden. So entstünde eine Gesellschaft, in der jeder Einzelne sich seine Zugehörigkeiten selbst wählen könnte. Die Angst, abgehängt zu werden, verschwände. Was fast schon so viel wäre wie Glück.

Hinweise:Die Angst, sozial abgehängt zu werden, wird die Grundangst des 21. JahrhundertsHausgemeinschaften Alleinerziehender sollten künftig eine Alternative zur Kernfamilie bieten

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