: Die große Selbsttäuschung namens Techno
■ Rockmusik ist fast am Ende der Geschichte angekommen, Techno eigentlich auch, nur merkt es kaum einer: Diedrich Diederichsen, der Pop-Kultur-Experte schlechthin, kommt nach Bremen und erklärt, wie`s weitergeht
Die Früchte seines Schriftwerks sind nicht leicht geerntet. Doch können komplexe Texte nicht vertuschen, dass Diedrich Diederichsen - seit den frühen Achtzigern Chefredakteur des Musikmagazins Sounds, später Mitherausgeber der SPEX - der wichtigste Impulsgeber eines jungen Cultural-Studies-Segments in der akademischen Landschaft dieses Landes ist. Von Afro-Futurismus bis zur Ästhetik der Subkultur, von Repräsentationsflächen im HipHop bis Postkolonialismus: Diederichsens Texte verhandeln vieles auf dem weiten Feld zwischen Musik und Pop-Theorien.
Am 22. Juni wird der Übervater deutscher Popkultur im Gästehaus der Uni Bremen sprechen. Sein Thema: Historizität im Pop. Seine These: Diese Geschichtlichkeit ist ein Paradoxon, weil postmoderne Rockmusik Ende der 80er so weit in einem dichten Netz aus Verweisen auf die eigene Geschichte gefangen war, dass vor lauter Historizität schließlich keine Bezugnahme auf die Gegenwart mehr möglich gewesen ist. Auf der anderen Seite steht nach Diederichsen Techno, das sich auf verschiedenen Ebenen gegen Historizität ausgesprochen hat und in dieser Reklamation der Referenzlosigkeit doch Geschichte in der Musik erst wieder möglich gemacht hat. Womit beide Musiken letztlich das Gegenteil von dem bekommen hätten, was sie ursprünglich wollten. Wir befragten Diederichsen im Vorfeld etwas eingehender.
taz: Im Vorwort des just erschienenen Sammelbands „2.000 Plattenkritiken“, schreiben Sie, dass Kritiker der 80er „in der historischen Sekunde nach Punk“ begannen, sich „selbst als geschichtlich zu entdecken“. Führt das Erleben eines Epochenwechsels nicht von selbst zu einem Empfinden der eigenen Historizität? Was unterscheidet den Moment nach Punk von dem Moment nach den gewalttätigen Ausschreitungen beim Altamont Festival 1969, als spätestens der Hippie-Traum starb?
Diedrich Diederichsen: Die gesamten 70er Jahre waren von einem musikalischen Fortschrittsopti-mismus getragen. Er bezog seine Legitimation daraus, dass es eine lineare Entwicklung gab, die von den Beschränktheiten der 50er zu immer weiter reichenden Freiheiten in den 70ern, zu immer länger werdenden Gitarrenimprovisationen reichte. Altamont stellt für diese Linearität keinen wirklichen Bruch dar.
Es herrschte noch immer ein fester Glauben an Extension, an das Niederreißen von Schranken, die letztlich die Musik „besser“ machen würden. Natürlich wurden auf dem Weg in die 70er einige Tränen über die gescheiterte Realisation irgendwelcher Hippie-Utopien vergossen, aber die konnten nichts am Musikverständnis an sich ändern. Dieses ging davon aus, dass in den 50ern ein Keim der Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung gesetzt worden war, der so lange im Aufgehen begriffen war, bis Punk ganz massiv auch das Selbstverständnis der Musiker in Frage gestellt hatte.
Warum fällt die von Ihnen postulierte Geschichtslosigkeit postmoderner Rockmusik ausgerechnet auf das Ende der 80er Jahre? Nach der Ende der 70er einsetzenden Erkenntnis über die Gemachtheit oder Historizität von Formen in der Musik, derer man sich zuvor „natürlich“ bedient hatte, setzten Reaktionen ein. Sie äußerten sich in den meisten Fällen in Form eines Abarbeitens an dieser Geschichtlichkeit: Unbekannte Vorläufer wurden entdeckt oder noch nicht ins Recycling eingespeißte Stile gesucht. Das war zunächst ein sehr zwangloses, offenes Unterfangen. Aber im Verlauf der zehn Jahre und der einhergehenden Reduktion der zu behandelnden Musikformen und Möglichkeiten sowie der Routiniertheit der Umsetzung dieser Möglichkeiten wurde das jedoch immer zwanghafter.
Gleichzeitig konnte das Entstehen von Musik immer weniger zu aktuellen Bedürfnissen und Absichten der Musiker in Beziehung gesetzt werden. Diese sich immer weiter aufblähende retrospektive Ausrichtung der Musikproduktion landete Ende der 80er an einem Punkt, an dem eine vollständige Sättigung erfolgt war und es einfach nicht mehr weiterging.
Ironischerweise formulieren Sie einen Teil der Gedanken dieses Vortrags bereits im Vorwort einer umfangreichen Sammlung Ihrer Plattenkritiken. Tragen nicht Plattenrezensionen in ihrer zwanghaften Typisierung und Verortung einen erheblichen Teil zu der in Ahistorizität mündenden Festschreibung von Musik bei?
Jeglicher Austausch über Musik trägt einen Teil dazu bei, natürlich auch Plattenkritiken. Nun ist es aber nicht weiter schlimm, Refrenzen zu benennen, und gerade in den späten 80ern bestanden weite Musikteile aus Referenzen und Verweisen. Wenn nun Rezensenten Zitate aufzeigen und benennen, dann ist das ja nicht das böse Fixieren von ursprünglich frei floatenden Bezugnahmen.
In vielen Fällen - und das war gerade Ende der 80er-Jahre so - wollten die Musiker, dass ihre Bezugnahmen als solche erkennt wurden, die Leute haben sich ja auch noch so angezogen. Doch selbst wenn die musikalischen Verweise weniger offensichtlich sind, ist Kategorienbilden ein legitimes Mittel der Beschreibung. Wenn einem Musiker dadurch die kreativen Möglichkeiten genommen werden, dann ist es mit seiner Musik vielleicht auch nicht so weit her gewesen.
Wie lange hält nun die Geschichtstrchtigkeit einer vermeintlich geschichtslosen Musik wie Techno vor?
Das ist natürlich Verhandlungssache. Es gibt Menschen, die von auen auf Techno schauen, sehr schnell eine Kontinuitt zu Vorluferformen finden und damit die Musik mit Verweisen spicken. Interessant bei Techno ist aber, dass die Beteiligten selbst sehr lange und teilweise sogar bis heute an der Fiktion festhalten, dass Techno tatschlich eine Musik ohne Quellen und Referenzen sei. Das entspricht zwar nicht den Tatsachen, ist aber eine enorm produktive Selbsttuschung, insofern als das Ignorieren bestimmter Fakten es den Produzenten ermöglicht, auf bestimmte Weise zu handeln. „Aktives Vergessen“ sagt Nietzsche dazu.
Andererseits wird die geleugnete historische Bezugnahme ersetzt durch eine neue Bezugnahme, nmlich die technologische. Hier wird es dann auch problematisch, insbesondere wenn man andere Möglichkeiten der externen Bezugnahme, wie etwa Politik, dazu ins Verhltnis setzt.
Dann gbe es das, was man progressive Musik nennen könnte, ohnehin nur temporr?
Nicht unbedingt. Ich versuche einen normativen Aspekt in dieser Darstellung einer historischen Abfolge möglichst herauszulassen und will deshalb nicht sagen, progessiv kann Musik nur in dieser oder jener Konstellation sein. Was die Musik sein soll, das überlasse ich mehr oder weniger ihrer Entwicklung.
Ich sage auch nicht, dass Rock von Techno abgelöst worden ist. Rock als Musik und Milieu exis-tiert auch weiterhin.
Fragen: Gregor Kessler
Diedrich Diederichsen hlt seinen Vortrag „Geschichte gegen Geschichte - Ein Konflikt um die Kontinuitt in der Popkultur“ am Donnerstag, 22. Juni, um 20 Uhr im Gstehaus der Universitt Bremen auf dem Teerhof
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen