piwik no script img

„Aufgabe des Staates“

 ■ Der Bremer Milchbauer Gerhard Winkler über Zwangsarbeiter in der hiesigen Landwirtschaft

Gerhard Winkler, Jahrgang 1949, gehört ein landwirtschaftlicher Traditionsbetrieb in der Bremer Neustadt. Was weiß er über die Situation von landwirtschaftlichen Zwangsarbeitern im Krieg? Sollen die Landwirtschaftskammern sich an einer Entschädigung beteiligen?

taz: Arbeiteten auf den Höfen Ihrer Fataz:ilie in zu Kriegszeiten Zwangsarbeiter?

Gerhard Winkler, Milchlandwirt in Bremen: Was den Hof meines Vaters betrifft, weiß ich von einer Polin und einem Polen. Bei meinen Großeltern weiß ich von Belgiern.

Wie wurden diese Menschen nach den Erzählungen im Alltag behandelt?

Die Leute bei uns müssen es gut gehabt haben. Mein Vater sprach positiv über diese Leute. Zu den Belgiern gab es auch nach dem Krieg bis ungefähr Ende der 60er Jahre Kontakte. Sie kamen öfter zu Besuch, mein Onkel machte auch einmal einen Gegenbesuch. Von den Polen haben wir meines Wissens nie mehr gehört.

Auch auf anderen Höfen um Bremen herum gab es Zwangsarbeiter.

Es war natürlich sehr unterschiedlich, wie die Zwangsarbeiter auf den verschiedenen Höfen behandelt wurden. Aber durch die gemeinsame Arbeit war das Verhältnis wohl etwas anders, als in einem Industriebetrieb. Ich weiß nicht viel über die Erfahrungen anderer Landwirte hier in Bremen, denn das war ja jahrelang kein Thema.

Warum wurde darüber nicht gesprochen?

Ich weiß nicht. Eigentlich ist die Problematik erst wieder durch die Wiedergutmachungsdebatte seit zwei Jahren in den Blick der Öffentlichkeit gelangt. In Bremen wurde es vor fünf Jahren thematisiert, als sich zum 50. Mal der Tag jährte, als polnische marodierende Zwangsarbeiter im Blockland auf dem Hof Kapelle eine Großfamilie umgebracht haben. Soweit ich weiß, war es reiner Zufall, dass dieser Hof eine solche Tragödie erlebte. Ein anderer Bauer ist nach dem Krieg verschwunden. Man vermutet, dass er von Polen umgebracht wurde - erst vor einem Jahr erzählte mir ein Landwirt, dass nach dem Krieg Polen bei ihm aufgetaucht seien, die mit einem Foto den später verschwundenen Bauern gesucht hätten. Auch auf der Senatsranch im Blockland wurde ein Mann umgebracht und in Fischerhude gab es wohl auch einen Todesfall.

Den Wunsch nach Genugtuung gegenüber den Landwirten gab es also durchaus bei Zwangsarbeitern.

Ja. Aber ich weiß nicht, in welchen Fällen es um persönliche Rache ging und in welchen Fällen um eine allgemeine Wut auf die Deutschen.

Die Grünen sagen heute: Die Landwirtschaftskammern sollen sich an den Entschädigungszahlungen für Zwangsarbeiter beteiligen, weil auch die Bauern von dem Zwangssystem profitiert haben. Was halten Sie davon?

Nicht viel. Ich sage mir: In diesem Fall ist das Aufgabe des Staates. In Industriebetrieben gab es tatsächlich eine Bereicherung dieses Unternehmens. In der Landwirtschaft aber war es doch so: Die Zwangsarbeiter wurden zugeteilt, um Nahrungsmittel für die Bevölkerung zu produzieren, oft wurden die Betriebe fast planwirtschaftlich organisiert. Ich sehe da keine Bereicherung für den landwirtschaftlichen Betrieb.

Und dennoch würde heute vielleicht der ein oder andere landwirtschaftliche Betrieb nicht mehr existieren, wenn es damals nicht das System der Zwangsarbeit gegeben hätte.

Es ist schwierig eine klare Antwort auf die Frage zu geben. Mein Vater wurde nicht in den Krieg geholt, mit der Begründung, er solle die Milchversorgung für Bremen aufrecht erhalten. Dazu kommt: In den 50er und 60er Jahren sind pauschal große Summen an Polen geflossen. Aber das Geld floss natürlich nicht den Menschen direkt zu.

Sie sind auch im Vorstand des Landwirtschaftsverbandes. Ist die Frage der Entschädigung Thema?

Bislang nicht. Fragen: Christoph Dowe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen