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Spießrutenlauf im Grünen

Der Volkspark Hasenheide in Berlin-Neukölln ist für die Polizei ein gefährlicher Ort: wegen der Dealer.Parkbesucher mit dunkler Hautfarbe müssen daher mit Kontrollen rechnen: wegen ihres Aussehens

von HEIKE KLEFFNERund TOBIAS SINGELNSTEIN

Birgit sitzt auf der Bank vor dem Freiluftkino in der Hasenheide und schüttelt sich. Die 38-jährige Steuerfachgehilfin ist erstmals seit drei Jahren wieder in dem Volkspark in Berlin-Neukölln. „Hier springen ständig irgendwelche Männer aus dem Gebüsch. Das finde ich gruselig.“ Gefragt, wer diese Männer seien, kommt die Antwort ohne Zögern: „Dealer, das ist doch klar.“

Die Mutter eines zehnjährigen Sohnes ist nicht die Einzige, die die grüne Lunge des Stadtteils als „dreckig, ungepflegt und gar nicht erholsam“ bezeichnet. Die Berliner Polizei klassifiziert die Hasenheide schlichtweg als „gefährlichen Ort“. Dementsprechend zeigt man Präsenz: Täglich fahren Mannschaftswagen Streife; täglich werden hier Menschen nach ihren Papieren gefragt, durchsucht und „in Gewahrsam“ genommen, die nach Ansicht der Polizei die Gefahr – in Gestalt von „harten und weichen Drogen“ – in den Park bringen. Die Kriterien sind schlicht: Vor allem Schwarzafrikaner gelten als verdächtig. So wird für manchen Besucher ein Spaziergang unvermittelt zum Spießrutenlauf.

Testbesuch mit Folgen

Charles A., 32-jähriger Familienvater aus Ghana, mit einer Deutschen verheiratet und im Besitz aller für einen legalen Aufenthalt in Berlin notwendigen Papiere, macht die Probe aufs Exempel. Für den Spaziergang durch den Park verzichtet er auf seine übliche Arbeitskleidung – gepflegter Anzug und dezent gemustertes Jackett – und holt stattdessen ausgebleichte Jeans, ein kurzärmliges T-Shirt und eine Baseballmütze aus dem Schrank.

Von dieser nicht nur in Neukölln typischen Freizeitbekleidung und Charles schwarzer Hautfarbe scheint Signalwirkung auszugehen. Kaum zehn Minuten nach Betreten des Geländes kommt das erste Polizeifahrzeug am Rande der großen Wiese in Sicht, die sich Sonnenanbeter, kleine Grüppchen von Obdachlosen und Federballspieler teilen. Der muskulöse Mann schlendert gelassen und ohne sich umzugucken an dem Fahrzeug vorbei: Plötzlich kommen gleich vier Beamte heraus und umrunden Charles A.: „Kann ich Ihren Pass sehen?“, heißt es zur Begrüßung. Fragen nach Anlass, Grund oder Verdachtsmomenten sind zwecklos: Charles A. muss seinen Pass abgeben – „ohne die Papiere gehe ich in Berlin sowieso nicht auf die Straße“ – und warten.

Im Inneren des Polizeifahrzeugs überprüft ein Beamter die Daten per Funk. Das Ergebnis kommt nach zehn scheinbar endlosen Minuten: „Keine Vorstrafen.“ Die Beamten verzichten auf die schon angekündigte Durchsuchung an Ort und Stelle im abgedunkelten Inneren des Fahrzeugs. Charles A. darf weitergehen, und der Einsatzleiter verabschiedet sich mit einem „Schönen Tag noch“. Er ist von der Rechtmäßigkeit der Kontrolle überzeugt: „Wir dürfen hier Personen aufgrund ihres Aussehens und Auftretens kontrollieren.“ Denn erfahrungsgemäß würden hier vor allem „Neger und Araber“ dealen. Die Frage, ob die Fahrzeugbesatzung jeden Schwarzen kontrolliere, verneint der Beamte eilig, verweist stattdessen auf seine „Erfahrungswerte“: „Viele der Täter kennen wir ja schon und auch ihn“ – ein ausgestreckter Zeigefinger deutet auf Charles A. – habe der Beamte „heute schon öfter im Park gesehen“.

Charles A. verzichtet darauf, den Ordnungshüter darüber aufzuklären, dass er den Vormittag auf dem Arbeitsamt verbracht hat und die Hasenheide an diesem Tag zum ersten Mal durchquert. Auch dass er in dieser Gegend fast jedes Mal kontrolliert wird, lässt er unerwähnt. Einmal erhielt er auf seine Frage nach dem Grund einer nächtlichen Kontrolle von Polizeibeamten die Antwort: „Wenn du nicht kontrolliert werden willst, dann laufe als Schwarzer hier nicht nachts rum.“

In den zahlreichen afrikanischen Cafés und Läden nördlich des Parks trifft man Besucher mit ähnlichen Erfahrungen. Ob im Kalomi in der Gneisenaustraße, dem Tropical Markt in der Hobrechtstraße oder beim Sonntagsgottesdienst der schwarzen Freikirchengemeinde am Südstern – fast ausnahmslos berichten Schwarze unterschiedlichster Nationalitäten von täglichen Kontrollen. „Es ist normal, dass Schwarze hier kontrolliert werden, und das ist furchtbar“, sagt ein Taxifahrer schwarzer Hautfarbe. „Berlin ist multikulturell, und so muss die Polizei auch arbeiten“, meint ein anderer, und ein Dritter fordert ärgerlich: „Die müssen richtig hinschauen, was passiert, und nicht einfach jeden Ausländer kontrollieren.“ Ihre Namen wollen alle drei nicht genannt wissen – aus Angst vor weiteren Schikanen.

Interpretierbare Zahlen

Ein Blick auf die Zahlen macht das Ausmaß der Kontrollen deutlich – und ist je nach Eigeninteresse und Betroffenheit beliebig interpretierbar. An den „Brennpunkten“ des Drogenhandels in Neukölln – dazu gehören neben der Hasenheide aus polizeilicher Sicht auch der Hermannplatz und die U-Bahnhöfe Boddin-, Schönlein- und Leinestraße – wurden 1999 über 31.000 Personen kontrolliert. Das Ergebnis: 1.848 Anzeigen wegen Betäubungsmitteldelikten und die Sicherstellung von 39 Kilogramm Drogen. „Auf dem Hermannplatz haben wir eine Szene, die bestimmt ist durch arabische Kleindealer, in der Hasenheide sind es eher Schwarzafrikaner“, sagt Jens Splettstöhser, der Leiter des für den Hermannplatz zuständigen Polizeiabschnitts 54.

Obwohl es sich nach Polizeiangaben fast ausschließlich um den Verkauf von Cannabisprodukten handelt, reagieren die Beamten auch hier mit Kontrolle, Identitätsfeststellung und Ingewahrsamnahme. In den ersten fünf Monaten des Jahres seien so auf dem Hermannplatz 40 Delikte festgestellt worden, berichtet Splettstöhser. In 21 von 25 beantragten Fällen verhängte ein Richter Ingewahrsamnahme von bis zu 48 Stunden, in einem Fall wurde ein dreimonatiges Aufenthaltsverbot für den gesamten Platz verhängt.

Bei ihren Maßnahmen hat die Polizei nahezu freie Hand. An „gefährlichen Orten“ reichen für Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen „Inaugenscheinnahme und die begründete Annahme der Szenezugehörigkeit“, sagt Abschnittsleiter Splettstöhser. Neben ziellosem Umherschweifen und Alter sei der „Dealerkreis vor allem durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe erkennbar“. Was der Abschnittsleiter als Tatbestandsmerkmale für die Zulässigkeit einer Kontrolle definiert, endet in der Praxis in systematischen Kontrollen aller Araber und Schwarzen zwischen 15 und 35, so der Vorwurf von AnwohnerInnen und Betroffenen. Jens Splettstöhser räumt zwar ein, dass es bei den täglichen Kontrollen durch zivile und uniformierte Polizisten am Hermannplatz „möglicherweise manchmal auch den Falschen treffen“ könne, dies seien jedoch Einzelfälle. Schließlich seien die sechs bis sieben Dealer bekannt, die auf dem Hermannplatz ihr Haschisch an die meist deutschen Kunden bringen würden. Dass die Wirkung der mit Forderungen von Anwohnern und Geschäftsinhabern begründeten Kontrollen gering ist, muss auch Splettstöhser zugeben: Ergebnis der Polzeimaßnahmen sei vor allem die Verdrängung der Szene an ander Orte.

Genervte Parkbesucher

Unter den aufgrund ihrer Hautfarbe – weiß – und ihres Alters – über 30 – nicht unmittelbar von den Polizeimaßnahmen betroffenen Parkbesuchern sind die Reaktionen auf Polizei- und Drogenpräsenz in der Hasenheide geteilt. Regina S., 47-jährige kaufmännische Angestellte und wegen Sohn Jan, 7, „fast täglich“ in der Hasenheide, und ihre Bekannte Susanne F., Umweltingenieurin und Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern, sind „schon genervt von den Dealern“. Einige Frauen aus ihrem Bekanntenkreis meiden die Hasenheide, „weil sie nicht ständig angesprochen werden wollen“. Andererseits sind beide überzeugt: „Die Polizeipräsenz ist wirkungslos, denn irgendwelche Büsche zum Verstecken der Ware finden sich immer.“ Und: „Oft treffen die Kontrollen die Falschen.“ Außerdem hätten sie zumindest auf den Spielplätzen noch keine Nadeln gefunden. Ihr Resümee: „Wir haben uns daran gewöhnt, und der Park bietet genügend ruhige Ecken.“

Klara K., Frührentnerin, die an sonnigen Tagen „am liebsten den Trommlern zuhört“, findet „die Händler, die mit harten Drogen dealen, unmöglich“. Aber: „Die arbeitslosen Farbigen tun mir Leid.“ Auch der Wirt der Hasen-Schänke, des beliebten Cafés mitten im Park, wo eine Flasche Bier nur zwei Mark kostet, hat sich mit den unterschiedlichen Besuchern arrangiert. „Bei mir verkehren alle“, sagt der Mann, den seine Gäste liebevoll „Werner“ rufen: „Von jung bis alt, vom Arbeitslosen und Multikulti bis zum Schlipsträger.“ Für Junkies – „das sind auch meine Gäste“ – gelten klare Regeln: „Im Umkreis der Hasen-Schänke wird nicht gedealt. Der Rest ist Sache der Polizei.“ Außerdem sei „die Hasenheide tagsüber so sicher oder unsicher wie jede x-beliebige Straße in Neukölln“.

Mahmut L., der mit seiner Familie im Sommer zu ausgedehnten Grillfesten in die Hasenheide kommt und wie viele andere auch das Grillverbot ganz einfach ignoriert, ist jedoch überzeugt: „Mehr Polizeipräsenz wäre gut. Ich will nicht, dass mein Sohn Drogen angeboten bekommt, wenn er allein durch den Park geht.“ Dass er trotzdem lieber in der Hasenheide grillt als an einem brandenburgischen See, findet der türkische Mann mit dem deutschen Pass selbstverständlich: „Hier muss ich keine Angst vor Nazis haben.“

Das sehen Nadine und ihre afrodeutsche Freundin Nicole genauso. Die beiden Teenager aus Schöneweide kommen fast täglich zur Wiese der Trommler, die ihre Instrumente inmitten von kiffenden Jugendlichen, Joggern und Fußballspielern bis spät in die Nacht bearbeiten: „Hier verstehen sich alle, egal ob schwarz oder weiß. Und Musik hören kannst du auch – ohne Eintritt zu bezahlen.“

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