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Aufbruch – verdammt lang her

Mehr Schwung und Farbe erhoffen sich die einstmals Alternativen nach ihrem Parteitag von Renate Künast, der Parteichefin in spe

von TINA STADLMAYER

„Legal, illegal, scheißegal“ – diesen Spruch plakatierten die Grünen vor 15 Jahren, zu Zeiten der Flick-Affäre, im Wahlkampf. Im Jahr 2000 hieß es auf ihren Plakaten zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: „Schwarze Kassen, roter Filz, grün wählen“.

Wer würde heute noch auf die Idee kommen, sich ein Grünen-Wahlplakat ins Zimmer zu hängen? In den Achtzigerjahren war das gang und gäbe – als die Titanic-Zeichner Bernstein, Poth und Pfarr für die Grünen ihre bitterbösen Satiren malten: „Der deutsche Bauer, im Felde unbesiegt“ (Bauer mit Traktor und Gifttank). Natürlich protestierte der grüne EU-Abgeordnete und Bauer Graefe zu Baringdorf gegen das Plakat. Verteilt wurde es trotzdem.

Heute wäre so etwas wohl nicht mehr möglich. Political Correctness und die Angst vorm Anecken bestimmen das Denken der Grünen. Die Folge: Die Partei wirkt langweilig und miefig. Sie schafft es nicht einmal mehr, ihre StammwählerInnen zu begeistern – und Jugendliche schon gar nicht. Die Grünen haben sich nicht nur politisch, sondern auch in ihrem Erscheinungsbild den anderen Parteien angepasst.

Prominente Grüne wie Fraktionschefin Kerstin Müller („Wir sind zu brav“) oder die Abgeordnete und ehemalige Rockmusikmanagerin Claudia Roth („Wir wirken ziemlich spießig“) haben das längst erkannt. Allein es fehlt an zündenden Ideen, wie das Image wieder aufgepeppt werden könnte. Klamauk-Aktionen, wie sie FDP-Kandidat Jürgen Möllemann im NRW-Wahlkampf brachte, will jedenfalls niemand kopieren.

Richard Herten (Ex-Schlagzeuger von Ton Steine Scherben und Schroeder Roadshow), seit 15 Jahren für die Organisation und Dekoration grüner Parteitage zuständig, sagt: „Wir müssten uns einfach wieder mehr trauen.“ Und „den Kontakt zu ehemaligen Unterstützern wie Wolfgang Niedecken von BAP reaktivieren und den zu aktuellen Künstlern und Bands suchen“. Es gebe viele tolle HipHop-Bands, so Herten, mit denen die Grünen zusammenarbeiten könnten. Aber niemand aus der Garde der Mittvierziger im Bundesvorstand traue sich da ran: „Wir müssten auf die Künstler zugehen, auch wenn sie nicht hundertprozentig auf unserer Linie sind. Da entsteht Reibung und Farbe.“ Im Parlament „rumzusitzen“, das könne doch nicht alles sein. Die Grünen müssten versuchen, mit den Künstlern „die Herzen der Menschen zu berühren“.

Doch die ehemals Alternativen verlassen sich heute lieber auf renommierte Agenturen wie die des Werbepapstes Schirner aus Düsseldorf oder „hi.com“ aus Berlin. Schirner warb für die taz, die SPD, die Atomfirma Nukem, für Pfanni-Reibekuchen und Eminence-Unterhosen. Er empfahl den Grünen für den vergangenen Bundestagswahlkampf den Buchstaben Ü als Logo. „Damit haben wir unserere Identität aufgegeben“, schimpft Claudia Roth. Das ursprüngliche Symbol der Grünen, die Sonnenblume, sei schließlich zum Logo grüner Parteien in vielen Ländern geworden. Inzwischen sind die Grünen vom Ü wieder abgekommen. Sogar Sonnenblumen werden wieder auf Plakaten gesichtet.

Als die Leute von „hi.com“ Anfang Juni ihre Ideen zu Bühnenbild und Dekoration für den Parteitag am kommenden Wochenende vorstellten, hielt sich die Begeisterung in Grenzen. „Neue Energie im grünen Bereich“, sollte das Motto für den Parteitag lauten. Das war den Grünen-Vorständlern dann doch zu blass. „Es knallt einfach nicht“, sagte Richard Herten. Man einigte sich auf einen Kompromiss: „Neue Energie ist grün.“ Der Abschluss der Atomkonsensgespräche „musste natürlich irgendwie aufgenommen werden“, sagt Herten. Aber so richtig glücklich ist er nicht mit dem neuen Spruch. „Früher haben wir frechere Sachen gemacht.“ Zum Beispiel die rosa Dekoration und die Säule aus Kuhmuster auf dem Potsdamer Parteitag vor sechs Jahren. So etwas, meint er, sei heute nicht mehr durchzusetzen.

1986 nahmen Gerhard Polt und die Biermösl Blosn eine Wahlkampf-Single für die Grünen auf. Der Vorstand lehnte den Song ab, weil er politisch nicht korrekt war. Die Grünen produzierten die Single trotzdem und setzten sie ein.

Auf dem Parteitag in Münster 1989 spielte eine Multikulti-Musiktruppe, bevor die Debatten losgingen. Zwölf Jahre später sind die Grünen zurück in Münster. Am Freitagabend, wenn alle von den Debatten erschöpft sein werden, tritt die türkische Truppe „Die bösen Schwestern“ auf. Tagsüber werden die drei grünen MinisterInnen, der Bundes- und der Fraktionsvorstand von der Bühne aus aufs Parteivolk herabsehen. „Die sitzen da wie der Aff auf dem Schleifstein“, ulkt Claudia Roth, „das ist doch kein Bild, das den politischen Aufbruch signalisiert.“

Renate Künast, Parteichefin in spe, verteidigt die neue Ordnung. Außenminister Fischer könne schließlich aus Sicherheitsgründen nicht im Hessen-Block sitzen. Auch Richard Herten findet es gut, dass die MinisterInnen auf der Bühne sitzen: „Sie sind es, die unserere Politik zur Zeit maßgeblich zu veranworten haben.“ Er hofft, dass Renate Künast, wenn sie als neue Vorsitzende gewählt ist, dem grünen Projekt wieder „Schwung und Farbe zurückbringt“.

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