: Profit am Holocaust
Eine Ausstellung zeigt: Hunderttausende Deutsche machten bei der Shoah ein Schnäppchen. Doch der Humboldt-Universität ist die Schau zu heiß
von PHILIPP GESSLER
In Düsseldorf-Gerresheim fand es am 19. November 1941 um 15 Uhr statt – und so geschah es überall im großdeutschen Reich: eine Versteigerung zugunsten der Staatskasse. Unter den Hammer gelangte das Vermögen des Karl Israel Cohen. Sein gesamter Hausrat im Wert von 722 Reichsmark konnte ersteigert werden. Familie Richling erwarb eine Wanduhr für 7,50 Reichsmark (RM), vier Bettbezüge für 30,50 RM und Gardinen – für schlappe 5,50 RM. Die Erstfelds ersteigerten einen Kaffeewärmer für 3 Mark – viele andere Familien den Rest. Der „Reinerlös“ der Auktion, wie Obergerichtsvollzieher Gangolf festhielt: 615,27 RM. Die Volksgenossen profitierten vom Holocaust, ganz direkt.
Diese Geschichte ist seit gestern im Rathaus Kreuzberg nachzulesen. Die Ausstellung „Betrifft: Aktion 3. Deutsche verwerten jüdische Nachbarn“ räumt endgültig auf mit der Legende, der Massenmord an den europäischen Juden sei das geheime Werk einer Verbrecherclique an der Spitze des NS-Staates gewesen. Ausstellungsmacher Wolfgang Dreßen, ein Politologe der Fachhochschule Düsseldorf, kann nachweisen: Es gab ungezählte Profiteure des Massenmordes – nicht zuletzt die „Arier“, die sich das Eigentum ihrer jüdischen Mitbürger unter den Nagel rissen, sobald die Deportationszüge rollten.
Das Brisante an der Ausstellung, die seit anderthalb Jahren durch die Bundesrepublik tourt und nun erstmals in Berlin zu sehen ist: Sie verzichtet darauf, die Namen der Schnäppchenjäger, der Versteigerer und der Schreibtischtäter in den Finanzämtern zu schwärzen. Das macht die Täter und Profiteure greifbar – niemand hat bisher dagegen geklagt, berichtet Dreßen. Und das, obwohl die Ausstellung auch in Orten gezeigt wurde, in denen früher die Versteigerungen stattfanden, wie die ausgestellten Unterlagen nachweisen.
Das öffentlich vorgetragene Hauptargument der Ausstellungsgegner: Die Tatsache, dass die Unterlagen nicht anonymisiert worden seien, verstoße gegen die Datenschutz-Bestimmungen. Personenbezogene Daten unterlägen diesen Regeln. Michel Friedman vom Zentralrat der Juden in Deutschland widerspricht dem. Im Kinosaal der Humboldt-Universität, wo die Auftaktveranstaltung der Ausstellung stattfand, erklärte der Frankfurter Anwalt: Bei öffentlichem Interesse sei der Datenschutz einschränkbar. Zudem wollten die Gegner der Ausstellung stets die Ausstellung insgesamt verhindern – eine Schwärzung von Teilen der Exponate sei nicht ihr primäres Ziel.
Ein Berliner Skandal wird die Ausstellung dadurch, dass sich die Humboldt-Universität trotz ihrer Erlaubnis zur Ausrichtung der Auftaktveranstaltung in ihren Räumen weigert, die Schau selbst in ihrem Foyer aufzustellen. Dies hatte die „Initiative kritische Geschichtspolitik“ (ikg), eine Gruppe Berliner Historiker und Politologen, vorgeschlagen. Wie die Pressestelle der Universität erklärte, spricht sich der HU-Historiker Ludolf Herbst in einem Gutachten gegen die Erlaubnis aus, die Ausstellung an der Uni zu zeigen. Er sieht der Pressestelle zufolge zu große inhaltliche Schwächen und verweist auf das Datenschutz-Argument. Die Argumentation der Ausstellung und des Ausstellungsbandes sei gedanklich krude. Es herrsche eine „einseitige“ Aufklärungsabsicht vor.
Die Universität weigert sich zudem, das offenbar dreiseitige Gutachten Herbsts zu veröffentlichen. Auch eine Anfrage bei dem Professor selbst blieb gestern unbeantwortet. Gleichzeitig verweist die Pressestelle darauf, dass es die Humboldt-Uni gewesen sei, die zu allererst die umstrittene „Wehrmachtsausstellung“ zum Vernichtungskrieg der deutschen Armee in Süd- und Osteuropa gezeigt habe.
Die 186 Exponate sind von solcher Brisanz, dass Dreßen zufolge das Bundesfinanzministerium auf den Oberbürgermeister von Köln Druck ausgeübt habe, die Schau in seiner Stadt nicht zu genehmigen – vergeblich. Der Täterschutz widerspreche zudem dem Beschluss der Holocaust-Konferenz in Stockholm, wonach alle Archive geöffnet werden sollten, die Aufschluss über die Shoah geben könnten. Auch die Bundesregierung hat diesen Beschluss mitgetragen.
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