Die versunkene Stadt

Ohne Glamour: Auf der 7. Architektur-Biennale in Venedig ist „Berlin StadtWende“ der deutsche Beitrag und zeigt sich als Ort baulicher Zerstörung durch seine Architekten. Masterplan ist Rettung

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Ausstellungen über die Hauptstadt und die Präsentation derselben gelten mittlerweile als Affront. Der Selbstbespiegelung Berlins als architektonischer Nabel der Welt sind viele überdrüssig. So nimmt es nicht Wunder, dass die Süddeutsche Zeitung den offiziellen deutschen Beitrag auf der 7. Architektur-Biennale in Venedig schon vor der Eröffnung ins Visier nahm und Zweifel anmeldete am Ausstellungsprojekt „Berlin StadtWende“. Hauptstadt, Hauptstadt, Hauptstadt und immer nur die glitzernden Neubauten im Dreieck zwischen Potsdamer Platz, Friedrichstraße und dem Regierungsviertel seien zu einseitig, um das aktuelle Baugeschehen der Republik abzubilden, polterte die Zeitung.

Hauptstadt? Neues Berlin? Die üblichen verdächtigen Berlin-Hasser werden bei „Berlin StadtWende“ auf dem Biennale-Gelände Giardini weder ein protziges Berlin-Bild noch einen zentristischen Anspruch auf Architektur-Leitbilder finden. Im deutschen Pavillon hängen, gleich monochromen Grafiken, 20 große Stadtpläne auf weißem Grund, die die in Schwarz gezeichnete Bebauung Parzelle für Parzelle von 1940 über 1945 und 1953 bis heute zeigen.

Architekten als Zerstörer

Frappierend ist, dass die so genannten „Schwarzpläne“ trotz der Zeiten des Wiederaufbaus sowie der großen Quartiers- und Verkehrsplanungen immer heller werden, so als verschwinde das fragmentierte Berlin statt sich wieder zu verdichten. Der Stadtgrundriss als Gedächtnis der Stadtgeschichte bleibt zerstört: durch Krieg, aber insbesondere durch Abrisse und modernistische Stadtplanungen, die sich rigoros über die Stadtstruktur hinwegsetzten.

Ergänzt wird die abstrakte Darstellung durch einen Stadtgrundriss, der Planungen bis 2010 dokumentiert. Die Schau folgt in beiden Flügeln des deutschen Pavillons dem gleichen unspektakulären Konzept mit meterhohen Bilderbogen zerstörter Gebäude und grabsteinartigen Prospekten mit den Namen der Architekten, die Berlin geschändet haben.

Die Botschaft – und damit trifft das Konzept das Motto der Architektur-Weltausstellung „Mehr Ethik weniger Ästhetik“ – aus Berlin ist klar: Ideologisch motivierte Bauexperimente haben den Stadtkörper ruiniert, dessen gebautes Wesen in seiner historisch und sozial gewachsenen Struktur liegt. Eine Stadt hat ohne den Bezug zur Vergangenheit, auch wenn sie zu den am meisten zerstörten Städten im Zweiten Weltkrieg gehörte, keine Zukunft. Sie bleibt Patient, an dem herumoperiert wird, statt zur Heilung auf „urbane Rekonvaleszenz“ zu setzen, wie Berlins Senatsbaudirektor Hans Stimmann zur Eröffnung sagte.

Mit einer solchen Präsentation setzt das neue Berlin auf einen Schock und bietet sich als konservatives Modell an: Propagiert wird „nicht der Glamour der Oberflächen“, wie Thomas Herzog (München/Rom), deutscher Biennale-Generalkommissar, sagte. Gefordert wird die Wende in der Stadtentwicklung, die für die meisten Weltstädte ein Mehr an Ausuferung und die Entvölkerung der Zentren bedeutet. Publiumswirksam ist das nicht. Denn im Vergleich mit den Exponaten anderer Länder und den beiden großen Ausstellungen im Arsenal und auf dem Biennale-Gelände selbst, die in der Mehrzahl multimediale Zukunftsprojekte für das 21. Jahrhundert oder gar extraterrestrische Städte im Weltall versammelt, fordert der deutsche Beitrag gerade in seiner Radikalität zum Umdenken auf.

Natürlich ist die Schau damit als Wink mit dem Zaunpfahl für Stadtplaner gedacht. Berlin, die Stadt, in der neben Shanghai, Tokio oder Singapur am meisten gebaut wird, soll nicht erneut Experimentierfeld künftiger Planergenerationen werden. Sind sie es doch, die die Stadt einem permanenten Prozess einer Deformation unterworfen haben und sie bis an die Grenze des Verschwindes führten.

Geradezu ausradiert in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren wurde das Hansa-Viertel, die Fischerinsel oder die Potsdamer Straße, das Viertel am Anhalter Bahnhof, an der Stresemannstraße, das östliche und westliche Zentrum: Sie wurden durch Autostraßen, maßstabslose Plätze oder Solitäre ersetzt. Wirtschaftliche und soziale, verkehrliche und ideologische Konzepte schnitten in den eh schon geschundenen Stadtgrundriss ein. Die Physiognomie der Stadt wurde neu definiert.

Erst Ende der 70er- und in den 80er-Jahren werden die Grafiken des Verschwindes wieder gegenständlicher. Die pointillistischen Bilder füllen sich ein wenig in der südlichen Friedrichstadt, in Tiergarten und auch in Mitte. Das Weiß der Pläne nimmt unmerklich ab, die planerischen und politischen Leitbilder der Rekonstruktion und der Verdichtung der Innenstadt sucht die Zäsuren von Krieg, Abriss und Städtebau der Moderne zu flicken.

Strahlende Wiedergeburt

Letztendlich bleibt Berlin für die Besucher der Biennale nicht nur als schockartiges Ereignis zurück. Stimmann und Herzog weisen auch die Rückkehr zur Stadt und ihrem kompakten Körper mittels Heilung durch das Planwerk Innenstadt, das am Ende der Ausstellung hängt. Neu ist das nicht, aber in seiner Aussage überzeichnet, da Berlin als versunkenes Atlantis dokumentiert wird, das mittels Planwerk umso strahlender wieder aufersteht.

Genau hier wird die Schau fragwürdig und hat zwischen Herzog und Stimmann zu Animositäten geführt. Während Stimmann das Ausstellungskonzept als Legitimation für sein Planwerk dient, dies zum einzigen Programm „für die Rückbesinnung auf die urbanistischen Traditionen der europäischen Stadt“ erklärt und die letzten Baujahre schon als Beleg sieht, bleibt für Herzog das Konzept zu eindimensional und doktrinär. Nicht nur die abstrakte Darstellung der Grundrisse, sondern die kritische Reflexion „des derzeit Entstehenden und dessen Vergleich“ mit anderen Konzepten und Entwicklungen wäre angebracht gewesen. So erscheint Berlin aus der Sicht des Senatsbaudirektors: schwarzweiß und leblos, analytisch und spröde, konservativ und ziemlich alt.

StadtWende auf der 7. Internationalen Architektur-Biennale in Venedig, bis 29. Oktober 2000