: Drei riesige schwarze Hunde
Die Inhaftierung des russischen Medienunternehmers Gusinski zwingt den Kreml dazu, Farbe zu bekennen
MOSKAU taz ■ Auf moralische Genugtuung wird der russische Medienmogul Wladimir Gusinski noch einige Zeit warten müssen. Ein Moskauer Bezirksgericht entschied gestern, sich mit der Beschwerde des Gründers des privaten Medienimperiums Media-Most nicht zu befassen. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte den Unternehmer letzte Woche verhaftet, ohne eine schriftliche Anklage zu präsentieren. Erst nach massivem öffentlichen Druck konnte Gusinski am Freitagabend die Haftanstalt verlassen.
Eben weil sich Gusinski mittlerweile wieder auf freiem Fuss befindet, wies die unterste gerichtliche Instanz die Klage ab und erklärte die Beschwerde wegen „widerrechtlicher Inhaftierung“ für gegenstandslos. Diese mehr als eigentümliche Begründung würde jedem Bürger das Recht absprechen, für erlittenes Unrecht Wiedergutmachung zu verlangen.
Die Anwälte der Media-Most wollen den Richterspruch nicht unwidersprochen hinnehmen und kündigten an, in die nächste Instanz zu gehen. Mehr als eine moralische Genugtuung würde allerdings auch ein positives Urteil nicht bedeuten, denn auf die eigentliche Anklage wegen schweren Betruges und Veruntreuung hätte der Entscheid keinen Einfluss. In der Öffentlichkeit wurde die Festnahme Gusinskis als ein Versuch gewertet, die letzten noch kremlkritischen Journalisten einzuschüchtern: Schließlich sind die Blätter und Sender der Media-Most-Gruppe die einzigen, die sich bisher der Kontrolle und Bevormundung durch den Kreml entziehen konnten.
Während liberale Politiker und Journalisten inzwischen befürchten, der Kreml könnte unter Präsident Wladimir Putin den Weg eines autoritären Regimes beschreiten, scheinen die Ereignisse den Durchschnittsbürger weniger zu beunruhigen: Putins Popularität habe nur marginal gelitten, meinen Beobachter.
Allerdings hatten in einer Fernsehsendung des Gusinski-Kanals NTW am Wochenende 90 Prozent der 1.000 Anrufer bei einer Telefonumfrage keinen Zweifel gehegt, dass Putin im Voraus von der Aktion der Staatsanwaltschaft gewusst haben muss. Der Kremlchef – zeitgleich in Deutschland unterwegs – hatte das indes vehement abgestritten. Innerhalb der politischen Elite zwingt die Inhaftierung des Medienmagnaten auch dazu, Farbe zu bekennen: Premierminister Michail Kasjanow und der kommunistische Duma-Vorsitzende Gennadi Selesnjew unterstützten vorbehaltlos die Entscheidung gegen Gusinski. Beide stehen der so genannten Familie, dem Jelzin-Clan, dessen Finanzberatern und dem engsten Zirkel der Präsidialkanzlei, sehr nahe.
Der Chef der liberalen Partei Union der Rechtskräfte (UdR), Boris Nemzow, und Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow verurteilten dagegen das Vorgehen gegen den Medienmagnaten. Aber auch sie sparten Wladimir Putin von ihrer Kritik aus und beschuldigten den Chef der Präsidialkanzlei, Alexander Woloschin, die Sache ausgeheckt zu haben. Boris Beresowski, Oligarch und Finanzberater der Jelzin-Familie, schob unterdessen den Strafverfolgungsbehörden den schwarzen Peter zu. Putin sei kein Stratege und habe schlechte Berater, meinte Beresowski. Beresowskis Kritik wird gemeinhin als ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Adresse Putins gedeutet, den machtbesessenen Oligarchen näher ans Entscheidungszentrum heranzulassen.
Gusinski hatte noch vor seiner Inhaftierung auf drei Kräfte hingewiesen, die um Einfluss auf den Kremlchef ringen: Den Geheimdienst FSB, die „Familie“ und die UdR, die er als riesige schwarze Hunde beschrieb, die den Präsidenten in verschiedene Richtungen zerrten. Das Ende, so Gusinski damals, wäre ein erneutes autoritäres Regime. Um dieser latenten Gefahr entgegenzutreten, einigten sich in der Duma die UdR, die Partei Jabloko und Teile der „Vaterlands“-Fraktion, ab sofort zusammenzuarbeiten. KLAUS-HELGE DONATH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen