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Brathühnchen unterm Bett

Böse Mädchen gehören ins Irrenhaus: Über das repressive Frauenbild in neuen Hollywoodfilmen

von BARBARA SCHWEIZERHOF

„Du bist ein faules, sich gehen lassendes kleines Mädchen, das sich selbst verrückt macht“, sagt Whoopi Goldberg zu Winona Ryder. Goldberg ist die Oberschwester in einer Einrichtung, die man früher arglos Nervenheilanstalt genannt hätte, und Ryder spielt die Patientin Susanna, noch keine 20, verwirrt und unglücklich. Widerwillig hat sie sich einliefern lassen, erschrocken über die Mitteilung ihres Psychiaters, 40 Aspirintabletten mit einer Flasche Wodka runterzuspülen seien kein Weg, um Kopfweh zu bekämpfen, sondern ein Suizidversuch. Der Film gibt Goldberg recht; am Ende hat sich Susanna wieder im Griff, blickt melancholisch auf die Zeit in der Klinik zurück und einer viel versprechenden Karriere als Schriftstellerin entgegen.

Tatsächlich ist „Durchgeknallt“ eher ein Film des längst für ausgestorben gehaltenen Genres der Mädchenpädagogik, eine Erzählung über die fragwürdigen Grenzen von Normalität und Verrücktsein. Dabei entblößt der deutsche Verleihtitel gerade in seiner Verkehrtheit (der Originaltitel „Girl, interrupted“ spielt immerhin auf ein Gemälde von Vermeer an) die Tendenz des Films, Susanna und ihre Mitinsassinnen klar als Verrückte zu etikettieren: Polly hat sich mit Benzin übergossen und angezündet, weil die Eltern ihr den Hund wegnahmen, Daisy ist scharf auf Abführmittel, hortet Brathühnchen unterm Bett und in der Seele ein dunkles Geheimnis, Georgina lügt krankhaft, und Janet ist magersüchtig – das ganze Horrorkabinett moderner weiblicher Neurosen. Sie alle wieder zur Räson zu bringen ist gar nicht so einfach, aber die kühle Souveränität von Chef-Therapeutin Vanessa Redgrave sowie Whoopis verständnisvolle Strenge zeigen unmissverständlich an, dass die Institution „mental hospital“ schon das Richtige ist.

Schon erstaunlich für einen Film, der Ende der 60er-Jahre spielt, zu einer Zeit also, in der vergleichbare Anstalten zunehmend kritisiert wurden als Orte, mit denen sich die Gesellschaft von ihr selbst hervorgerufene Krankheiten durch Ausgrenzung vom Leibe hält. In „Durchgeknallt“ findet sich von dieser Kritik nur noch ein Reflex: Als die Mädchen eines Nachts ihre Krankenakten in die Hände bekommen, lesen sie darin nur vage Diagnosen, die ihre Hilflosigkeit durch wissenschaftlichen Jargon kaschieren. Der Autorität der Einrichtung tut das jedoch keinen Abbruch.

Seine absolute Therapiegläubigkeit verbindet „Durchgeknallt“ mit „28 Tage“, in dem Sandra Bullock wegen Alkoholmissbrauchs im Straßenverkehr eine Art Zwangsentzug machen muss. Wie Ryder betritt Bullock die Klinik als jemand, der glaubt, im falschen Film gelandet zu sein. Auch hier führt der Weg zur Heilung über die Einsicht ins eigene Kranksein. Nur dass „28 Tage“ dem Widerstand gegen die Therapie mehr Platz einräumt und die Rituale der Gruppensitzungen mit ihren stereotypen Bekenntnisreden immerhin ironisiert werden. In beiden Filmen aber ersetzt die Arbeit an der Psyche des Individuums jegliches Denken in gesellschaftlichen Zusammenhängen. Für den eigenen Irrsinn scheint man heute im Mainstream-Kino definitiv allein verantwortlich zu sein.

Eigentlich von trauriger Ironie, dass ausgerechnet Whoopi Goldberg, die lange Jahre auf exzentrische, unangepasste Rollen abonniert war, nun den gesunden Menschenverstand gegenüber Winona Ryder vertritt, dem Inbegriff mädchenhaft-überintelligenter Angepasstheit. Das weibliche Ungezähmte wird in „Durchgeknallt“ vom zuckersüßen Shootingstar Angelina Jolie verkörpert. Sie ist Lisa, die rebellische Gegenspielerin von Susanna und das erotisch aufgeladene männliche Idealbild der verrückten Frau (dafür prompt mit dem Oscar für die beste Nebendarstellerin ausgezeichnet). Dem Girl aus der neuen Magnum-Reklame nicht unähnlich, gibt sie mit zerzaustem Blondhaar und ewigem Schmollmund die Unberechenbare, die alle zu manipulieren versucht.

Doch ihr Rebellentum ist gegen nichts gerichtet, es wird als reine Zwangshandlung inszeniert. Zu erkennen, dass Lisa wirklich krank ist, bedeutet für Susanna die Heilung. Am Ende wird Lisa sediert und gefesselt, als sei sie ein tollwütiges Tier. Bad Girls müssen eben vor allem vor sich selbst geschützt werden.

Die Konstellation von dominantem Bad Girl und unterlegener Freundin, die um Anpassung ringt und gleichzeitig mit der Rebellion kokettiert, wird zur Zeit noch in einem weiteren Mainstream-Mädchenfilm durchgespielt. In „Brokedown Palace“ stiftet Alice (Clare Danes) ihre Freundin Darlene (Kate Beckinsale) dazu an, nach der High School ohne Wissen der Eltern nach Bangkok zu fliegen, wo beide prompt unschuldig wegen Drogenschmuggels im Knast landen. Zwar wird die Institution, die sie gefangen hält, als korrupt, gewalttätig und unangemessen grausam gezeigt – wir sind ja schließlich in Thailand –, aber auch hier geht der Weg zur Reife nur über die Akzeptanz des eigenen Fehlverhaltens. Alice nimmt als die Stärkere die Schuld auf sich, damit die schwächere Darlene freikommt. Im strafrechtlichen Sinne mag sie unschuldig sein, ihr vorlautes Wesen aber ruft eindeutig nach Disziplinierung.

Befreiende Ausbrüche scheint es für junge Frauen zur Zeit nicht zu geben – weder als Überschreitung psychosozialer Normen noch als Widerstand gegen die Seelenklempnerei, und noch nicht einmal als ganz handfeste Flucht aus einem Gefängnis, in dem man zu Unrecht gelandet ist. In Hollywood will man Frauen zur Zeit unbedingt erziehen, und zwar am besten in geschlossenen Anstalten.

„Durchgeknallt“. Regie: James Mangold. Mit Winona Ryder, Angelina Jolie, Whoopi Goldberg, USA 1999, 127 Min.„28 Tage“. Regie: Betty Thomas. Mit Sandra Bullock, USA 2000, 106 Min.„Brokedown Palace“. Regie Jonathan Kaplan. Mit Clare Danes, USA 1999, 101 Min.

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