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Fundi-Pragmatikerin

von PATRIK SCHWARZ

Nur einen Absatz oder so, wird sie bitten, solle man darauf verwenden, nicht dem Vorfall ein Gewicht geben, das er nicht hat, gemessen an ihrer politischen Arbeit – oder jedenfalls nicht bekommen soll.

Um zu ignorieren, welche Folgen es hatte, dass ein Unbekannter sie auf dem Heimweg in ihre Berliner Wohnung mit einem Messer am Oberarm verletzte, müsste man schon beide Augen zukneifen. Wo immer man Angelika Beer derzeit begegnet, stets geraten die Personenschützer des Bundeskriminalamts ins Bild. Dabei geben die sich alle Mühe, unauffällig zu sein. Die Männer verzichten auf eine Krawatte und lassen den obersten Hemdknopf offen, die Beamtin trägt eine Weste – so stellt man sich beim BKA wohl das Grünen-Milieu vor.

Die aus der Kuschelecke

Auch jetzt hocken sie am Nebentisch. Angelika Beer, vor sich eine Tasse Milchkaffee, am linken Oberarm einen Pflasterverband, sitzt in einem kleinen, alternativen Kieler Café. Im Raum nebenan befindet sich eine Goldschmiede, in Vitrinen liegt Schmuck aus. Ein Ort, an dem Angelika Beer sich wohl fühlt. Hier muss sie nicht als verteidigungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion auftreten, hier ist sie die allein erziehende Mutter und grüne Aktivistin.

Es ist eine Kuschelecke, aus der sie 1987 mit knapp 30 Jahren zum ersten Mal in den Bundestag zog. Undenkbar schien damals, dass sie zwölf Jahre später darüber befinden würde, dass ausgerechnet die Linken Deutschland in einen Krieg führen sollten. Die Abgeordnete Beer entschied sich, wenn auch mit Zweifeln, für den Nato-Einsatz gegen Jugoslawien. Ausgerechnet Angelika Beer. Die als Verfechterin einer Bundesrepublik ohne Armee in den Bundestag eingezogen war. Die die internationale Kampagne gegen Landminen mitplante. Die sich für die Kurden in der Türkei engagierte. Anders als die Joschka Fischers ihrer Partei hatte sie beim Bosnien-Krieg Militäreinsätze noch kategorisch abgelehnt. Im Kosovo-Konflikt machten darum viele Linke ihr Verhalten von Beers Votum abhängig – weil sie für den Militäreinsatz stimmte, überstand die rot-grüne Koalition ihr erstes Jahr.

Mehr noch als Joschka Fischer steht Angelika Beer für die Wandlungen der Grünen. Als Fischer längst Minister in Hessen war, lebte sie noch das Leben, vor dem ihr Vater, einst CDU-Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein, sie wohl gewarnt hatte. „Ich habe mit am Bauzaun gerüttelt, bin vor den Hubschraubern weggelaufen und habe so einige Wasserbäder hinter mich gebracht“, erzählt sie von den AKW-Demos und schwärmt von „dem Gemeinschaftsgefühl, was damals klasse war“.

Letztlich hat sie ihr Weg auf dieselbe Straße geführt, auf der derzeit von Joschka Fischer bis Renate Künast die meisten Grünen marschieren. Immer wieder mal gibt es da Kreuzungen, letztes Jahr auf dem Kosovo-Parteitag, dieses Mal auf dem Atom-Parteitag in Münster am Wochenende. Bis jetzt hat die Mehrheit sich bei diesen Gelegenheiten immer dagegen entschieden, links abzubiegen. In Münster dürfte das genauso sein. Auch Angelika Beer wird dem Atomkompromiss zustimmen. „Ich fühle mich frei zu kritisieren, wie der Atomkonsens ausgefallen ist, aber ich finde ihn allemal besser, als wenn ich immer noch am Bauzaun stehen würde.“

Der Bauzaun, der früher verband, trennt heute. In den zurückliegenden Monaten war Angelika Beer immer wieder von militanten Demonstranten als „Kriegstreiberin“ und „Imperialistenschwein“ beschimpft worden, auf dem Bahnhof in Hannover wurde sie bespuckt. Schließlich erhielt sie Morddrohungen. Aus Enttäuschung? Für viele Linke war sie „eine von uns“ und ist „eine von denen“ geworden.

Die Pragmatikerin

„Natürlich habe ich auch Angst“, sagte sie damals, „aber schlimmer ist, dass ich nicht mehr frei rumlaufen und einfach mit Leuten reden kann.“ Der lebende Konvoi aus Personenschützern hebt den Politiker aus der Menge heraus. Manche Minister mögen das, geben sich wie Cäsaren. Wenn Angelika Beer durch den Raum kam, vorne und hinten je ein Beamter, wirkte das eher kläglich, als werde da jemand zum Verhör abgeführt.

Wenn sie heute über ihren Kosovo-Entschluss spricht, klingt es, als seien die Formulierungen vom häufigen Gebrauch schon ausgeleiert. „So ’nen Krieg mitzuverantworten macht schuldig, aber nicht mitzumachen hätte auch schuldig gemacht.“ Im Kriegsjahr 1999 hätte eine linke Grüne solches nur mit Tremolo in der Stimme sagen können.

Womöglich ist Angelika Beer aber gar keine Linke mehr. Gewiss ist jedenfalls, dass sie mit den Jahren im Bundestag immer weniger Spaß an der Fundamentalopposition fand. „Unterm Strich hat das Am-Zaun-Rütteln außer dem Gemeinschaftsgefühl relativ wenig Erfolg gebracht“, sagt sie. Bereits vor dem innergrünen Kosovokonflikt plädierte sie dafür, die neu gewonnene Regierungsmacht pragmatisch zu nutzen. „Ich habe nach der Koalitionsbildung auf Veranstaltungen immer gesagt: Wenn ihr jetzt zum Truppenstandort geht, dann guckt ihr euch das an und dann sagt ihr: das sind unsere Panzer, das sind unsere Lastwagen, das sind unsere Kasernen – und ich mache euch Vorschläge, wie wir das reduzieren.“

„Ich würde nie in die Bundeswehr gehen“, sagte sie neulich auf einem Podium der grünen-nahen Böll-Stiftung, und es ging ihr so überzeugt, so selbstverständlich über die Lippen, dass man ihr fast glauben konnte. Dabei ist es kurios. So tief wie Beer ist kaum eine andere Frau, und schon gar keine Grüne, in der Bundeswehr gelandet.

Angelika Beer, der Maulwurf. Tief hat sie sich in die Materie eingegraben, seit sie in den Bundestag einzog und sich sofort für den Verteidigungsausschuss meldete, „ich wollte an die Hardware ran“. Gerade erst hat sie für ihre Fraktion den Kampf gegen Rudolf Scharpings allzu zaghafte Bundeswehrreform geführt – und verloren.

Angelika Beer, der Maulwurf, der Spion. Ein Eindringling der Gegenseite, der von innen Informationen nach draußen gibt. Beer machte sich einen Namen im Untersuchungsausschuss gegen rechtsextreme Umtriebe in der Bundeswehr und mit unangekündigten Besuchen in Kasernen, deren so genannte Traditionsräume sie auf Souvenirs aus der Nazizeit durchforstete. Auch wenn dies im Grundgesetz unter dem Stichwort „parlamentarische Kontrolle der Bundeswehr“ zu finden ist, galt dieses Verhalten vielen der traditionell öffentlichkeitsscheuen Militärs fast als Subversion. Mit Beers Unterstützung für die Nato-Lufteinsätze ist nun alles anders: Die Zahl ihrer Sympathisanten in der Bundeswehr ist gestiegen, die Ablehnung in den Reihen ihrer früheren Weggefährten auch.

Die Streitbare

Streitbar müsse man eben sein als Politikerin, redet sie sich Mut zu, „in alle Richtungen, weil, sonst macht’s keinen Spaß mehr“. Und plötzlich, dann doch, steht der Vorfall im Raum: „Dass das so endet wie im Moment gerade, das habe ich mir natürlich nicht vorstellen können.“

Beer hat kein Wort für das, was ihr jemand an diesem Abend in Berlin getan hat. Vielleicht lässt sich damit die Erinnerung ein Stück ferner halten. Vielleicht weiß sie auch einfach nicht, wie sie das nennen soll.

Zeitungen attestierten ihr „ausgeprägtes Pflichtbewusstsein“, weil sie am Morgen nach dem Überfall zu einer angekündigten Pressekonferenz erschien, um Rudolf Scharpings Wehrreform zu kritisieren. Mit Pflichtbewusstsein hat das überhaupt nichts zu tun, sagt Angelika Beer. Schlecht sei es ihr gegangen, und Schmerzen hatte sie. „Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, weil Leute da waren, da hätte ich mich eigentlich ins Bett gepackt und gesagt, Rezzo, das mach mal alleine!“ Aufgestanden ist sie letztlich gerade weil es ihr so schlecht ging. „Da war für mich total wichtig, deutlich zu machen, dass ich mich in der Form nicht angreifen lasse.“ An einen Zufallstäter glaubt sie nicht. „Ich denke, man wollte mich treffen – als Person.“ Vielleicht, sagt sie, könne sie in zwei Monaten etwas Vernünftiges dazu sagen. Jetzt wolle sie vor allem weiterarbeiten – „und das tue ich ja auch. Da lasse ich nicht ab, das ist ja klar, sonst ...“ Sie bringt den Satz nicht zu Ende.

Seit dem Anschlag ist Angelika Beers Schutz verstärkt worden. Die Hintergründe der Tat sind noch unklar. Vielleicht gibt es keinen Zusammenhang mit dem Kosovo. Vielleicht waren es Rechtsradikale, mit denen Beer sich anlegte, als sie sich gegen den rechtsradikalen Club 88 in ihrem Wahlkreis engagierte. Jedenfalls schieben sich jetzt unablässig BKA-Beamte zwischen Angelika Beer und die Welt. Dabei hat sie sich gerade ihre privaten Freiräume durch 13 Jahre als Berufspolitikerin hinweg zu bewahren versucht. Nicht zuletzt deshalb nennt sie es für sich unvorstellbar, zur Armee zu gehen, „wo ich mir vorschreiben lassen muss, wann ich wohin gehe und mit wem. Das erlebe ich jetzt zum ersten Mal und das habe ich noch nicht auf der Reihe.“

Immer mal wieder versucht sie, ihren Beschützern zu entwischen, um Zigaretten zu holen oder nach einer Veranstaltung einen Blumenstrauß im Kofferraum des Dienst-BMW zu verstauen. Die Beamten sind fast immer schon vorher zur Stelle. Den Blumenstrauß gibt sie nicht aus der Hand. Lieber marschieren sie zu viert zum Kofferraum.

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