: Geschlechter im Klischee
Beim diesjährigen Hurricane-Festival in Scheeßel dürfen Männer rocken und Frauen Emotionen beisteuern ■ Von Volker Marquardt
„Wo geht's denn zum Festival?“ Dies wird am kommenden Wochenende eine häufig gestellte Frage sein, wenn wieder 40.000 Fans – häufig in vollgestopften Autos, meist mit mehr Durst als Orientierung – in den niedersächsischen Wäldern um Scheeßel herumirren. Denn das Gelände auf einer ehemaligen Motocross-Rennbahn liegt in einer Senke versteckt.
Erst auf dem Hügel – der schon „Deich der Hörgeschädigten“ genannt wurde – zeigt sich das ganze Ausmaß dieses allsommerlichen Indie-Woodstocks: Ein standesgemäßes Open-Air-Brett und das chronisch überhitzte Zirkuszelt liefern ohne lästige Umbaupausen eine Beschallung über die volle Distanz. Natürlich stehen die inzwischen schon bei Dorffesten üblichen Bungee-Trampoline zur körperlichen Ertüchtigung bereit. Aber beim Hurricane – und das macht dieses Festival zu einem der angenehmsten in Deutschland – geht es nicht um Kirmesrummel, sondern um die Musik.
Dabei gehen die Veranstalter nicht etwa wie beim „Rock am Ring“ mit musikalisch häufig erstarrten Dauer-Headlinern auf Nummer sicher. Vielmehr stammen, laut Elke Ulferts vom Veranstalter Scorpio, die meisten Bands „aus dem Rock- und Alternative-Spektrum. Wichtig ist auch, dass sie wie Giant Sand, Elliott Smith und FM Einheit erst kürzlich eine Platte veröffentlicht haben.“ Gerade mit diesem geschärften Programm ist es den Festivalmachern in nur vier Jahren gelungen, sich als deutsches Indie-Festival zu etablieren – und gleichzeitig immer mehr Zuschauer anzuziehen. Auch für dieses Jahr sind bereits 30.000 Tickets verkauft. Geschickt trägt das Hurricane so der mit Grunge und HipHop und Techno nachhaltig umgekrempelten Musiklandschaft Rechnung, in der sich immer mehr Genre-Bands in die Charts mogeln.
Formationen wie die Elektro-Metaller Nine Inche Nails, die es neuerdings auch mit Cello, Ukelele und Mandoline krachen lassen. Oder der Techno-Produzent Moby. Der überzeugter Veganer und Polit-Aktivist wird seinen Stilmix aus Big Beat, Rock und Soul als auf der Bühne herumtollender Derwisch aufführen. Oder die kahlköpfige Metal-Sirene Skunk Anansie, die zusammen mit Prodigys Maxim auftreten wird. Moderiert von Allan Bangs klappern die Hurricane-Headliner also die Genres ab. Nur der Tanzboden, der ausschließlich von der famosen Groove Armada bespielt wird, kommt diesmal eindeutig zu kurz.
Beinahe schon zwangsläufig trägt das Programm statt dessen der mächtigen Rückkehr von Rock Rechnung, das in dem Comeback von AC/DC nur den augenfälligsten Ausdruck fand. So zeigt Henry Rollins, der nach Eskapaden als Wort-Performer wieder zu handfestem Rock gefunden hat, seine Muskeln und die finnischen Düsterrocker Him führen ihre Razorblade Romance (Albumtitel) auf. Selbst die Wimp-Hochburg Britannien wird in diesem Jahr mit den schwergängigen Brit-Rockern Bush und den Godzilla-Fans A ruppiger als zuletzt mit Blur vertreten. Auf den Punkt bringen die Wüsten-rocker Fu Manchu die Sachlage: „Ich werde mich vielleicht jetzt outen“, beschreibt deren Schlagzeuger die Philosophie der Band schlicht aber treffend, „aber der Sinn dieser Gruppe ist schlicht und einfach, sich zurückzulehnen, Spaß zu haben, und Dinge zu machen, auf die man Bock hat. Und was kann es denn bitte Schöneres geben, als mit seinen Kumpels abzuhängen und ordentlich zu rocken?“ Damit trifft er bestimmt auch die Motivation eines Großteils der Besucher.
Zwischen all diesen Muskeln braucht es natürlich auch besinnlichere Töne. Fast schon als Klischee sorgen dafür diesmal die weiblichen Sängerinnen. „Da bin ich vor allem auf Emiliana Torrini gespannt“, meit Elke Ulferts. Kein Wunder, denn die weitgereiste Bardin hat zwar in Björk ein unüberhörbares Rolemodel, weiß aber geschickt mit großen Gefühlen umzugehen. Auch bei Sandy Dillon und Ani DiFranco sind die Referenzen an PJ Harvey respektive k.d. Lang deutlich. Doch live gelten unter der über Scheeßel scheinenden Sonne andere Regeln. Hier können sich beide aus dem Schatten spielen.
Sa, 24. und So 25. Juni, ab 10 Uhr
Anfahrt: Ab Hamburg: mit dem Zug bis Scheeßel oder A1 Richtung Bremen, Ausfahrt Sittensen Verlosung: Der erste Leser, der ab 14 Uhr unter 38901740 anruft, bekommt eine Hurricane-Tasche samt T-shirt. Viel Glück!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen