Unser aller Unseld

Zum 50. bekommt der Suhrkamp Verlag ein höfliches Porträt geschenkt („Ins Gelingen verliebt“, 23 Uhr, ARD)

Er ist der letzte Patriarch in einer zunehmend von anonymen Medienkonzernen beherrschten Branche: Siegfried Unseld – Verleger, Mäzen, literarische Hebamme. „Nennen Sie mir einen Autor, den der große Bertelsmann-Konzern von Anfang an begleitet hat“, sagt Unseld in dem Verleger-Porträt, mit dem die ARD seinem Suhrkamp Verlag zum fünfzigjährigen Bestehen gratuliert. Tatsächlich ist ein Mann wie Unseld, der Autoren aufbaut und sie ein Leben lang begleitet, der ihnen – wie im Fall Uwe Johnson – jahrelang Vorschüsse zahlt, ohne ein fertiges Buch als Gegenleistung zu erhalten, der die Bücher seiner Verlegten nicht nur macht, sondern auch verkauft, zum Branchen-Dinosaurier geworden.

Theorie, Debatte, Kultur

„Suhrkamp ist in den vergangenen fünfzig Jahren der wichtigste und einflussreichste Verlag Deutschlands gewesen“, findet Thomas Schreiber, der Leiter der NDR-Kulturredaktion. Welcher Verlag hat sonst schon die literarische Szene so geprägt, dass er für eine spezifische Kultur steht? „Rowohlt-Kultur“? – Die gab es vielleicht mal in den Fünfzigern nach dem Siegeszug des rororo-Taschenbuchs. „Fischer-Kultur“? – Das waren wohl eher die Goldenen Zwanziger. „Suhrkamp-Kultur“ hingegen steht für die ambitionierte deutschsprachige Nachkriegsliteratur und die theoretischen und politischen Debatten der 68er.

Unseld steht seit über vierzig Jahren an der Verlagsspitze. Um sein Erfolgsgeheimnis zu ergründen und seine Bedeutung zu belegen, rufen die Filmemacher Annette Plomin und Ralf Quibeldey bedeutende Autoren in den Zeugenstand. „MRR“ himself, der Buchredner der Nation, stellt fest, dass Unseld außer Verleger vor allem auch ein guter Geschäftsmann sei. An zweiter Stelle steht Hans Magnus Enzensberger, der nicht zuletzt mit der regenbogenfarbigen Edition Suhrkamp zum Vordenker der Nation wurde. Gewohnt elegant und druckreif spricht er über Unselds „geradezu pathologische Liebe zur Literatur“ und das väterliche Verhältnis des Verlagschefs zu seinen Autoren, die selbst in der Nacht noch anriefen, um ihre Frauenprobleme zu diskutieren. Enzensberger gehört natürlich nicht zu diesen der Fürsorge bedürftigen Geschöpfen.

Doch was „Suhrkamp-Kultur“ vor allem ausmacht, haben die Autoren in einem Bild eingefangen: Gezeigt wird einer jener berühmt-berüchtigten Empfänge in der Villa des Verlegers, zu denen er einige handverlesene Feuilletonisten einlädt, um ihnen Christoph Hein, den jüngsten „neuen Suhrkamp-Autor“, vorzustellen. Hein sitzt an einem Pult, rechts von ihm thront (erhöht) der Verleger, ein paar Meter weiter sitzt andächtig lauschend dessen gut 20 Jahre jüngere Frau (und Suhrkamp-Autorin) Ulla Berkéwicz, drumherum die Journalisten, die unruhig auf ihren Stühlen hin und her rutschen, weil sie lieber ans Büfett gingen. Kein Zweifel, hier wird Literatur zelebriert. Doch leider finden sich nur wenige so entlarvende Szenen in dem Film.

Jaguar aus Leidenschaft

Der Rest ist Freundliches zum runden Jubiläum: Unseld liest, schwimmt, fährt „leidenschaftlich“ Jaguar und trifft sich mit Autoren. Das Porträt beeindruckt vor allem durch die Persönlichkeit dieses Büchermenschen. Manches ist ein bisschen platt – wenn etwa im Text von der „schnelllebigen Zeit“ die Rede ist und im Bild dazu der Verkehr auf Frankfurts Straßen im Zeitraffer gezeigt wird, manches humorvoll. Kritisches wird angemerkt, wie die Frage, ob die Suhrkamp-Kultur sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht überlebt habe.

Die Rede ist auch vom Bruch zwischen Siegfried Unseld und seinem Sohn Joachim, den der Vater als Nachfolger aufgebaut hatte, der jedoch lieber seinen eigenen Verlag gründen würde. Er bedaure das, sagt Unseld in dem Porträt. Zu mehr kann er sich auch vierzehn Jahre danach nicht durchringen.

BÄRBEL SONNTAG