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Is’n Märchen, wa?

Warum lächeln Sie nicht, Frau Maschke? Die Ausstellung „z.B. Berlin – 10 Jahre Transformation und Modernisierung“ im Postbahnhof verkauft das neue Berlin als das Schönste aller möglichen Berlins

von TOBIAS HERING

„Is'n Märchen, wa?“, entfuhr es einer namenlosen Ostberlinerin am Abend des 9. November 1989 beim ungehinderten Gang in den Westen. Gut zehn Jahre sind seitdem vergangen, in denen sich politische und stadtplanerische Mediziner darum bemüht haben, dass zusammenwächst, was durch eine hässliche Naht getrennt war. Zeit, so scheint es, die Fäden zu ziehen, und eine erste Gesamtansicht des Patienten zu präsentieren. Die Ausstellung „z.B. Berlin – 10 Jahre Transformation und Modernisierung“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung will keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass das neue Berlin das schönste aller möglichen Berlins ist.

Mit der gleichen Brachialität, mit der die Mauer den Stadtraum geteilt hatte, setzte ihr Wegfall einen sauberen Schnitt auf der Zeitachse: vorher/nachher. Schönheitschirurgen werben für ihre Kunst nach diesem Muster: Das Vorher zeigt den Patienten in unvorteilhaften Positionen, schlecht ausgeleuchtet und mit hängenden Schultern. Das Nachher präsentiert sich im Vielfarbdruck: die Fettpolster abgesaugt, die Wangen gestrafft. Die Ausstellung im historischen Postbahnhof, ein Parcours aus Schautafeln, Modellen und Animationen, verfährt ähnlich suggestiv: Is'n Märchen, wa? Das Gefühl der Homogenität, das sich bei dem Rundgang einstellt, weckt jedoch Misstrauen, weil es sich gar zu offensichtlich der nivellierenden Katalogästhetik der Hochglanzfotos und dem säuselnden Werben der zweisprachigen Subtexte verdankt. Glaubt man diesen, so dienen die Wasserstadt am Spandauer See, das Kunsthaus Tacheles, der Tiergartentunnel und die „Helle Mitte“ in Hellersdorf der gleichen Sache. Dem neuen Berlin nämlich, das hier wie eine Ware feilgeboten wird.

Der Ausstellungstext diagnostiziert der Stadtgesellschaft einen „jahrzehntelangen Selbstbezug“, aus dem sie jetzt erwache. In konsequenter Fortschreibung des politischen Diktats, das der Westen über den Osten verhängte, wird der Stadt ihre jüngere Vergangenheit als Stigma ausgelegt.

Kein Wunder also, dass Frau Maschke – porträtiert in ihrer Einbauküche in Marzahn wie eine Heroine der schönen neuen Welt – genauso apathisch schaut wie ihre „Constructa“. Warum lächeln Sie nicht, Frau Maschke ?

Ihr und anderen rief Senator Peter Strieder bei der Vernissage aufmunternd zu: „Veränderung heißt Zukunft!“ Er traf damit den leeren Kern der Sache. Denn Veränderung wurde Berlin und den Berlinerinnen gleichsam historisch verordnet. Wer da noch festhielt, wurde rasch zum Anachronismus. Und wer in der Veränderung die Zukunft sieht, hat tautologisch Recht.

Doch der Hochglanzparcours entzieht sich der Frage, ob es stimmt, was da behauptet wird. Ein Rundgang durch die reale Stadt wird stets ein heterogenes Erlebnis sein. Und das nicht nur als Dialog der Stile und Epochen, wie ihn das Planwerk der Senatsverwaltung durchaus vorsieht: Erst dort, wo es sich beißt und streitet, weiß man, dass der öffentliche Raum ein Testfeld echter, also unvereinbarer Alternativen ist. Die Behauptung der homogenen Stadt interpretiert dagegen noch die Versuche, aus ihr auszubrechen, als einen Teil des Brainstorms, der den neuen Status quo hervorbringt. Angesichts der hier installierten Stadt möchte man auf die Risse in der Fassade zeigen – nicht als Wunden, die es noch zu nähen gälte, sondern als Freiräume zwischen den Planquadraten.

Zumindest die Ahnung einer solchen Suche an den Rändern findet sich in einer Installation von Ursula Cyriax und Johanna Michel, die Teil des künstlerischen Dialogs ist, den sich die Ausstellung im Erdgeschoss leistet. Ihre Sammlung alltäglicher und kurioser Fundstücke von den Straßen des Nachwendeberlins versteht sich als eine Enzyklopädie des Ephemeren. Erstaunlich ist daran der Effekt, dass man, wenn es um Berlin geht, eine solche Schatzkammer bereits nach zehn Jahren wie eine Grabkammer betritt.

Die neuen Realitäten, die der Showroom oben feiert, werden von den Künstlern hier unten entweder mit Melancholie bedacht oder kommentarlos synthetisiert. Als gäbe es im neuen Berlin nur die Wahl zwischen hilfloser Trauerarbeit und begeisterungsloser Affirmation. Vielleicht muss man sich erst aus den Polarisierungen des Vorher/Nachher befreien, um dem Hier und Jetzt gerecht zu werden.

Gusztav Hamos' Fotografien, die „Eine optische Sinfonie“ Berlins sein wollen, zeigen gerade in der Magie des Moments etwas von der Magie der Stadt. Der Blick bricht sich in den verglasten Oberflächen des Stadtraums, die ihr Dahinter zu einem Schauobjekt machen und den Betrachter als Spiegelbild daneben projizieren. Damit lagert der fotografische Augenblick nicht nur mehrere räumliche Schichten übereinander, sondern zergliedert sich auch zeitlich in Momente. Eine Dramatisierung der Stadt, die die Vergänglichkeit des Realen zelebriert, in dieser Vergänglichkeit aber auch eine Zugänglichkeit aufzeigt. Die Stadt ist erlebbar.

Bis 3. Oktober, Postbahnhof am Ostbahnhof, Straße der Pariser Kommune 3–7, Friedrichshain, Di.–Fr. 9–19 Uhr, Sa./So. 11–19 Uhr

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