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„Ich habe den besten Job der Welt“

Talkin Loud, die weltweit vielleicht einflussreichste Dance-Plattenfirma, wird zehn Jahre alt: Zum Jubiläum sinniert Label-Chef Gilles Peterson über Hypes à la Acid Jazz, Medienmechanismen und seine Rolle als Geschmacksinstanz und wundert sich, dass nicht mehr Menschen schlecht über ihn sprechen

Interview CORNELIUS TITTEL

taz: Haben Sie 1990, als Sie Talkin Loud gründeten, damit gerechnet, dass Sie die Clubkultur ein ganzes Jahrzehnt lang entscheidend mitprägen würden?

Gilles Peterson: Das mag jetzt ein bisschen arrogant klingen, aber ich hatte nie den leisesten Zweifel. Ich habe immer an mich und dieses Projekt geglaubt und bin froh, dass wir es geschafft haben, unglaubliche Künstler einem größeren Publikum zugänglich zu machen und einige wirklich wichtige, stilbildende Alben zu veröffentlichen. Ich glaube, das Geheimnis von Talkin Loud ist, dass wir niemals einfach nur den neuesten Hit gemacht, sondern immer Künstler aufgebaut haben – etwas, das uns von allen Dance-Plattenfirmen dieser Größe unterscheidet. Wenn wir uns entscheiden, mit einem Künstler zu arbeiten, dann ist diese Zusammenarbeit immer langfristig angelegt.

Gab es nie einen Punkt, an dem Sie Sorgen um Ihr Label hatten?

Natürlich habe ich oft genug daran gedacht, alles hinzuschmeißen und zur Uni zu gehen oder etwas ganz anderes zu machen. Aber es gab immer Leute um mich herum, die mich motiviert haben weiterzumachen, und letztlich braucht man ja auch die schweren Zeiten, um die guten richtig genießen zu können.

Acid Jazz , ein Begriff, den Sie selbst prägten, aber auch Ihr Megaseller Galliano wurden Mitte der 90er-Jahre zum Synonym für langweiligen Studentenfunk. Haben Sie jemals bereut, diesen Genrebegriff in die Welt gesetzt zu haben?

Bereut habe ich es nie, aber es gab Momente, in denen ich dachte: Scheiß drauf. Schließlich fing das ganze Ding als Spaß an – ein paar Typen, die obskuren Jazzfunk spielen und Leute zum Tanzen bringen. Und dann wurde es zu einem Monster, das wir nicht mehr kontrollieren konnten. Eins sollte man aber nie vergessen: Acid Jazz war im Grunde avantgardistisch und experimentell. Während die großen Räume in den Clubs von Acid House beherrscht wurden, spielten wir den souligen Kram fürs Hinterzimmer, eine eklektische Mischung aus Funk, Jazz und HipHop, alles zwischen Sun Ra und Public Enemy. Ich bin der Überzeugung, dass dieses offene Musikverständnis der Nährboden für Leute wie Massive Attack, Tricky, Portishead oder auch Björk war. Dafür, dass Acid Jazz zum Unwort wurde, gab es zwei Gründe: Erstens gab es fürchterliche Bands, die als Acid Jazz vermarktet wurden und mit schrecklich langweiliger Musik große Erfolge hatten. Und zweitens gab es damals nicht genug gute DJs wie heute etwa Alex von Jazzanova oder Rainer Trüby.

Die Rettung für Ihr Label war „New Forms“ von Roni Size/Reprazent. Es wurde vom wichtigsten Dance-Album des Jahrzehnts gesprochen, plötzlich war Talking Loud wieder auf der Höhe der Zeit. War die Veröffentlichung einer Drum-’n’-Bass-Platte eine Flucht aus dem Acid-Jazz-Ghetto?

Ich höre das immer wieder, sehe das aber nicht so. Für mich war das eine logische Weiterentwicklung, als erstes Major-Label einen Drum-’n’-Bass-Act herauszubringen. Leute die mich damals als DJ oder im Radio gehört haben, wussten ja immer: Der ist alles andere als sein eigenes Klischee. Ich spielte damals schon länger Drum ’n’ Bass, und komischerweise war es ja auch nicht so, dass Roni oder wenig später 4 Hero und Nu Yorican Soul dachten, die Typen bei Talkin Loud haben vier Galliano-Alben veröffentlicht, da können wir auf keinen Fall hingehen. Die haben vor allem ein Label gesehen, das seine Künstler fördert und wichtige Platten rausgebracht hat.

Ende des Jahres wird es ein neues Roni-Size-Album geben. Teile der britischen Musikpresse haben Drum ’n’ Bass schon mal vorsorglich für tot erklärt. Two Step, ein Vocal-lastiger Hybrid aus House und Drum ’n’ Bass, gilt als Sound der Stunde.

Das ist doch das übliche Pressespiel. Erst baut man einen Künstler oder einen Stil auf, dann passiert etwas Neues und man beginnt den Künstler zu demontieren. Speziell die britische Musikpresse funktioniert so, und manchmal habe ich das Gefühl, sie will einfach von Zeit zu Zeit Blut sehen. Das ganze ist natürlich Quatsch: Drum ’n’ Bass ist zwar nicht mehr der neueste Sound, aber wie du bei Roni hören wirst, auch definitiv nicht tot. Drum ’n’ Bass muss sich neu positionieren, weiter entwickeln, das ist alles.

Andererseits haben Sie selbst mit MJ Cole den vielleicht profiliertesten Two-Step-Produzenten unter Vertrag.

Ja, das haben wir zeitlich gut hingekriegt. [lacht] Aber als wir MJ vor drei Jahren zu Talkin Loud holten, konnte keiner ahnen, wie groß Two Step wirklich wird und dass die ersten Auskopplungen des Albums, „Sincere“ und „Crazy Love“ die Talking-Loud-Veröffentlichungen mit dem größten Radio-Airplay unserer Labelgeschichte sein würden. Abgesehen davon glaube ich jedoch nicht, dass Hype das richtige Wort ist, um den Two-Step-Rummel zu erklären. Two Step ist aufregend, weil es schwarze britische Musik mit den richtigen Wurzeln ist, weil es von der Straße kommt und zugleich extrem kommerziell ist. Der Erfolg ist fast zwingend.

Ein Remix-Auftrag von Talkin Loud gilt als Adelsschlag; wenn sie ein Stück in ihrer Radiosendung spielen, verdoppeln sich die Verkaufszahlen; für viele Menschen gelten Sie als oberste Geschmacksinstanz. Erschreckt es Sie, welche Macht Sie haben?

Man wundert sich schon, aber solange ich ehrlich bin und aus meiner Radiosendung und meinen Clubnächten keine Talkin-Loud-Werbeveranstaltungen mache, finde ich es legitim. Und es ist doch fantastisch, dass man Künstlern, an die man aus vollem Herzen glaubt, zum Durchbruch verhelfen kann.

Andere finden Ihren Einfluss eher bedenklich: Der Londoner DJ Keb Darge verbreitet Verschwörungstheorien über Sie.

Ich würde mich ja aufregen, wenn es jemand wirklich Wichtiges wäre. Da er mich nicht persönlich kennt und ich nicht weiß, was er für ein Problem mit mir hat, kann ich über so viel Schwachsinn nur lachen. Ich glaube, er war es auch, der jedem, der es hören wollte, erzählt hat, ich und meine Frau wären auf Heroin. Das war schon bizarr. Freunde riefen mich an und fragten: „Gilles, bist du o.k.? Und du bist ganz sicher, dass du keine Hilfe brauchst?“ Wir haben selten so gelacht. Eigentlich wundere ich mich aber nur, dass es nicht mehr Leute sind, die schlecht über mich reden. Und selbst wenn sie es täten: Mich bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Das Entscheidende ist doch, dass ich den besten Job der Welt habe. Dass ich jeden Morgen aufstehe und dankbar bin. Ich kann auf der Music-Conference in Miami eine Party schmeißen und alle, die ich bewundere, sind da. Ich arbeite mit wundervollen, talentierten Menschen. Im Radio habe ich die eine Woche Sonny Rollins im Studio, die nächste Mos Def. Ich fliege Business-Class, gehe zu fast jedem Heimspiel von Arsenal, esse fantastisches Essen, habe Zeit für meinen Sohn, weil ich erst Mittags ins Büro muss. Was kann sich ein Mensch mehr wünschen?

Sie haben also genau das erreicht, was Sie immer wollten?

Nein, eigentlich doch nicht. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich immer davon geträumt, einen kleinen Plattenladen zu haben. Wie man sich den Traumplattenladen eben vorstellt. Schöne Holzfächer, liebevoll beschriftet und nur die allerbesten Platten. So einen gut sortierten Liebhaberladen. Das wäre es gewesen. Vielleicht werde ich diesen Traum verwirklichen, wenn ich alt bin und mehr Zeit habe. Nein, bestimmt sogar. Denn das ist es doch, worum es wirklich geht: Platten, gute Platten.

Eine erste Jubiläums-Compilation „Talkin’ inside the beat“ ist erschienen, am 26. Juni folgt die Doppel-CD „GP Worldwide“ (beide Talkin Loud)

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