: Bürgermeister wegen CSD in Schwulitäten
■ Begrüßt Oldenburgs Oberbürgermeister Poeschel (CDU) die CSD-Gemeinde? Die Grünen legten ihm ein Ei ins Nest
Im Oldenburger Rathaus druckst man herum. Von einer „delikaten Situation“ ist da die Rede, von wichtigen Terminen, die verhindern, dass der Oberbürgermeister am heutigen Samstag die Gäste des Christopher Street Days (CSD) offiziell im Namen der Stadt willkommen heißt. Hinter der Hand wird gefeixt, was das Zeug hält: Der Christdemokrat Jürgen Poeschel habe schlicht keine Lust, mit den Queers abgelichtet zu werden. Das sei die Wellenlänge des Hunte-Chefs nicht. Also drücke er sich.
Alles sah so aus, als ob sich Poeschel wie schon in den vergangenen Jahren erfolgreich und leise vor dem Event drücken könne. Auch den nunmehr sechsten Oldenburger CSD sollten der erste Bürgermeister Alfred Nehring ((SPD) und die zweite Bürgermeisterin Hiltrud Neidhard (Grüne) übernehmen – diesmal als Staffage mitten in einem Buick aus dem Jahre 1938, der den Umzug in Oldenburg anführen wird. Poeschel wollte nicht, und eigentlich rechnete auch niemand damit. Doch dann legten die Grünen dem OB ein dickes Ei ins Nest. Auf das „War's nicht so?“ in Richtung Rathaus hört man nur peinlich berührtes Hüsteln. Doch dazu später.
„Der Veranstaltung kommt immer mehr Bedeutung zu“, wird jedenfalls eingeräumt. Und für's Stadtmarketing sind die Besucherzahlen eine nicht mehr zu ignorierende Größe. Letztes Jahr kamen noch 7.000 Menschen, in diesem Jahr werden 15.000 Teilnehmer an der Parade der Lesben, Schwulen und ihrer Freunde erwartet. Auch die Zahl der angemeldeten Paradewagen hat sich auf zwei Dutzend im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Lesbisch-schwule Polizisten aus Niedersachsen sind ebenso dabei wie eine Gruppe „Homosexuelle in der Kirche“, die Grünen, verschiedene Schwulen- und Lesbengruppen oder Prominente aus Fernsehen und Comedy. Allein: die dringenden Termine des Oberbürgermeisters.
Doch dann besagtes Ei in Poeschels Nest. Eigentlich gar derer zwei. Zum einen nämlich erfuhr der CSD in Oldenburg von der Politik ungewohnte Weihen: Heute und ab sofort für immerdar soll nämlich am Tag des Oldenburger CSD vor dem alten Rathaus und auf dem Schlossplatz die Regenbogenfahne gehisst werden. Als Zeichen der Solidarität mit Schwulen und Lesben. So beschloss es auf Antrag der Grünen der Oldenburger Rat im April. Sogar ein CDUler stimmte mit der rot-grünen Mehrheit.
Das zweite Ei indes wiegt schwerer. Irgendein Grüner muss sich an die Parteikollegin Michaele Schreyer, inzwischen EU-Haushaltskommissarin in Brüssel, erinnert haben. Hatte Poeschel die Grüne nicht im Januar zur neuen Oldenburger Grünkohlkönigin gekürt? Beim 43. Grünkohlessen im Prinzessinensaal des Opernpalais Unter den Linden in Berlin? Und der hochnotoffizielle Antrittsbesuch in Oldenburg? Steht der nicht noch aus? He, Michaele, muss es nach Brüssel gefunkt worden sein: Willste nicht mitfahren auf unserem Grünen CSD-Wagen? Is 'ne Menge Fun. Und Michaele sagte Ja. Und kommt am heutigen Samstag zum Antrittsbesuch nach Oldenburg.
Mit dem Grünkohlmonarchen in OL ist das so eine Sache, für Auswärtige nicht ganz leicht zu verstehen. Ein wichtiges Amt jedenfalls, in Oldenburg seit 1956 jährlich neu und parteiproporzig korrekt vergeben. Schreyers Vorgängerliste liest sich wie eine Telefonliste für niedersächsische Finanzschwierigkeiten bei Haushaltsberatungen. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hatte die Amtskette an Schreyer übergeben. Getragen hatten sie auch schon illustre Persönlichkeiten wie Helmut Kohl (CDU), Helmut Schmidt (SPD), Gerhard Schröder (SPD) oder Joschka Fischer (Grüne). Und immer galt: Wenn der König oder die Königin an die Hunte kommen, dann gibt's großes Tamtam. Presseknipser, Oldenburg besichtigen, und natürlich: Shakehands mit dem Oberbürgermeister.
Hach, jetzt aber kommt die Olle Neue just am Tag der vielen, vielen Termine des OB – ein Schuft, wer Böses dabei denkt. Für die Grünkohlkönigin muss Poeschel ein Stündchen finden, das gehört sich so. Und die ganze Stadt ist voll von bunten Schrägen und erfüllt mit dezibeligem Wumma-Wumma. Könnte er da nicht doch ein Wörtchen an die Festgemeinde, als aufmerksamer Gastgeber ...?
Der Ausgang ist noch ein wenig offen. Die „dringenden Termine“ jedenfalls, so viel ist sicher, könnten „privater oder amtlicher Natur“ sein, sagt eine Rathaus-Sprecherin, so genau wisse sie das nicht. Sehr wichtig seien sie bestimmt. Ein Eintrag ins Buch der Stadt aber mit Poeschel an Schreyers Seite ist inzwischen fest gebucht. Mehr nicht. Der erste Bürgermeister Nehring stichelt: Er habe am gleichen Tag auch noch drei Termine und fahre dennoch mit. Schwer ertragbar wird für ihn höchstens die laute Musik. „Ohrenschützer mitbringen“, empfahl ihm darauf seine grüne Bürgermeister-Kollegin Hiltrud Neidhard. Für Poeschel kommt wohl höchstens ein anonymes Ganzkörperkondom in Frage.
Christoph Dowe
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