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vorlaufSanierte Altbauten

Music Planet: Einstürzende Neubauten (Sa. 0.20 Uhr, arte)

Fast scheint es, als würde das dreiköpfige Ungeheuer aus Musikgeschäft, Presse und Hochkultur die Natter verwünschen, die es da an seiner Brust genährt hat. Was als zwanghafter Schrei, als klanghafte Explosion aus Blut und Beton vor zwanzig Jahre in die Welt trat, das war so weit abseits vom Hauptstrom aller Geschmäcker, dass ihm eine lange Geschichte ohnehin nicht beschieden schien.

Aber nein, die Einstürzenden Neubauten haben physisch wie künstlerisch die 80er und sogar die 90er-Jahre überlebt. Gottlob endete kein Musiker in der Bahnhofstoilette, sondern im Kochstudio von Alfred Biolek. Und auch ihr kranker Industrial ist auf wundersame Weise genesen, gealtert, und siedelt mit seinen dunklen Chansons in der Nachbarschaft eines Nick Cave. Das schmerzt.

Und weil’s wehtut, weist der Film von Birgit Herdlitschke und Christian Beetz auch so eindringlich darauf hin, anstatt nur huldigend zu protokollieren: Die Berliner Punks von gestern haben heute Extratäschchen fürs Handy in ihre Anzüge einnähen lassen und feiern, statt „Hören mit Schmerzen“, heute die Erotik der Stille. Wo früher Rotorblätter, Bohrmaschinen und Kreissägen den Klang lieferten, tut’s jetzt eine in Zeitlupe abbrennende Zigarrette.

Blixa Bargeld, Andrew Unruh, F. M. Einheit oder Alexander Hacke kommen zu Wort, keck gegengeschnitten zu Videomaterial aus den wilden frühen Jahren. Da ist der Rummel im Ausland – wie er sonst nur Can, Kraftwerk oder den Scorpions zuteil wurde – und Ruhm im Inland, der einzigartig ist: Mit Heiner Müller haben sie gearbeitet, mit Peter Zadek und Werner Schwab. Und nicht zuletzt widmet ihnen heute der Kultursender arte einen verkleideten Themenabend – im Anschluss an die Dokumentation gibt’s das Jubiläumskonzert vom April, mit Bargeld als verbliebenem Alleinunterhalter.

Die Geschichte ist, wie man sieht und hört, gelaufen. Und doch ist es eine Geschichte – wert, erzählt zu werden.

ARNO FRANK

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