: Glauben und entstauben
Ein böser Traum: Thomas Roth mit Müllers „Hamletmaschine“ im Tacheles-Theater
Früher mal, das heißt vor 1989, war Heiner Müllers „Hamletmaschine“ das Programmstück aller, die an das Ende der Geschichte glaubten. Und das waren damals ziemlich viele. Da stand also Müllers Hamletfigur am Meer und wortwechselte mit der Brandung sein berühmtes Blabla. Am Schluss zog Ophelia alias Elektra als Mitglied der Manson-Bande durch die westlichen Schlafzimmer. Dazwischen scheiterten Revolutionen, und Hamlet Müller wünschte sich, eine Maschine zu sein.
Fast fünf Jahre ist Müller nun tot, und die Geschichte ist in rasantem Tempo weitergegangen. Wenn heute einer auf der Bühne beispielsweise sagt: „Fernsehen Der tägliche Ekel“, klingt das fast naiv. Im maroden Theatersaal des Tacheles, wo Thomas Roth und sein Theater Moribá sich der „Hamletmaschine“ annahmen, gab’s dann auch oft lautes Gelächter über Sätze, die noch vor zehn Jahren andächtiges Schweigen verursacht hätten.
Trotzdem war es ein in Ansätzen sehenswerter Versuch, das Stück wieder zu beleben. Roth und sein Ausstatter Jens-Uwe Behrend gaben dem Ganzen einen leicht morbiden Biedermeier-Anstrich. Mutter Gertrud (Petra Felgenträger) im Reifrock, Claudius (Michael Laricchia) im Brokatgehrock, und Horatio (Angela Nicotra) in Mönchskutte. Sie alle machten zur spieluhrhaften Musik von Trötsch marionettenhafte Bewegungen. Anders der auf die Bühne stolpernde Hamlet (Jean Maesér): ein pennerhaftes Wesen mit langem, zerzausten Haar und verschiedenen Koffern im Schlepp. Statt „Ich war ein Intellektueller“ muss er natürlich sagen: „Ich war Hamlet“. Roth gelingen ein paar dichte Bilder. Ein Gärtner (André Ebert) wirbelt silberne Aluminiumpodeste klappernd durch den Raum. Drauf stehen die anderen Figuren wie bei Madame Tussaud und müssen erst mal abgestaubt werden. Dann kommen sie als scheppernde Truppe angewackelt, um mit Müllers Text den armen Hamlet zu erschrecken. Ophelia (Stephanie Kühn) ist ein dick bezopftes Naturkind, das vor den Berührungsversuchen Hamlets erschrickt. Irgendwann spielen Gertrud und Claudius Schach mit Friedhofskerzen. Wenn eine Figur matt ist, wird sie triumphierend ausgeblasen. Wohin dieses düstere Marionettenspiel aber führen soll, bleibt unklar. Auf halber Strecke bleibt Roth nämlich stecken. Bevor die Figuren richtig Unheil anrichten können, hat er ihre Schrecken gebannt. Hamlet schläft, und alles war wohl nur ein böser Traum. Schade. ESTHER SLEVOGT
27. – 30. 6. u. 1. – 3. 7., jeweils 21 Uhr, Tacheles, Oranienburger Straße 189
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