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Polizeibeamte sollen schneller die Waffe ziehen

Nach Schüssen auf einen Sanitäter fordert die Polizeiführung, dass Beamte öfter zur Pistole greifen. Grüne befürchten einen Rückfall in die 70er-Jahre

Die Berliner müssen sich darauf gefasst machen, bei Polizeikontrollen in eine Pistolenmündung zu schauen. Nach der Tötung von sieben Polizisten im Bundesgebiet in diesem Jahr und den Schüssen auf einen Sanitäter in Berlin am Sonntag (siehe Kasten) hat der Chef der Landesschutzpolizei, Gernot Piestert, die ihm unterstellten Beamten zu erhöhter Sensibilität in Alltagsangelegenheiten aufgefordert. „Wir sind der Auffassung, dass bei unübersichtlichen Situationen die Waffe in die Hand gehört“, so Piestert.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist der Meinung, dass die Beamten künftig vermehrt mit gezogener Pistole einschreiten sollten. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, warnte indes vor einem Rückfall in die 70erJahre: „Damals wurden Leute zum Teil durch geschlossene Türen erschossen, weil die Polizisten überall Terroristen sahen.“

Polizeipräsident Hagen Saberschinsky hat eine Expertenkommission eingerichtet, die „wertneutral“ prüfen soll, ob die Polizei den täglichen Anforderungen gewachsen und ausreichend ausgerüstet ist. Dass der Polizei nur 4.000 Schutzwesten zur Verfügung stehen, stößt schon länger auf heftige Kritik der GdP, die 10.000 Westen fordert.

Aus Sicht von Piestert ist dem Beamten, dem die Pistole aus dem Halfter gezogen wurde, „nichts vorzuwerfen“. Das so genannte Schnellziehholster sei während RAF-Hochzeiten bundesweit eingeführt worden, nachdem „eine Reihe von Polizisten erschossen worden waren“. Zuvor war die Polizei nach Angaben des Waffenexperten des GdP-Bundesvorstandes, Wolfgang Dickel, mit einem Holster ausgestattet, das „ein mittlerer Koffer war“. Die Pistole sei so schwer zu ziehen gewesen, dass das Holster nicht umsonst „Witwenmacher“ genannt worden sei. Die seit 1978 von der Polizei eingesetzte Pistole hat nach außen keine Sicherung. Piestert verwies auf die bundesweite Weisung, eine „streifenfertige Waffe“ bei sich zu tragen: Sie ist jederzeit schussbereit.

Der Vorfall vom Sonntag und ein Fall in Hessen, bei dem vor einigen Tagen ein Polizist getötet wurde, zeigen nach Angaben des Chefs der Landesschutzpolizei, dass das Schnellziehholster auch eine Gefahr bedeuten könne. Man sehe aber keinen Grund, vom ungesicherten Tragen der Waffe abzurücken.

„Der größte Feind ist die Routine und Sorglosigkeit“, sagte Saberschinsky mit Hinweis darauf, dass die Polizisten bei normalen Kontrollen getötet wurden. Auch wenn sich das nicht durch die Statistik belegen lasse, sei es die Erfahrung der Polizei, dass die Gewaltbereitschaft gegenüber Beamten deutlich zunehme. Der Leiter des Landeskriminalamtes, Hans-Ulrich Voss, bestätigte gestern, dass der Gebrauch von Schusswaffen und Messern statistisch sinke. PLUTONIA PLARRE

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