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Putzfrau und Monster

Der Streit, ob Patrick Vieira oder Didier Deschamps im Mittelfeld des Weltmeisters aufräumen soll, erhitzte Frankreich, doch nun spielen im heutigen Halbfinale gegen Portugal beide gemeinsam

aus BrüsselRONALD RENG

Plötzlich steht das Ungeheuer vor einem. Seine große, kräftige Figur ist furchteinflößend, aber dann, was ist das? Geradezu scheu lächelt es, spricht mit leiser Stimme, höflich und bescheiden. Das ist Patrick Vieira, „das neue Monster“, wie die Pariser Sportzeitschrift L’Equipe titelte – einen Job in einem Horrorfilm würde er trotzdem nicht kriegen.

In der Sprache der französischen Fußballszene werden nur die Besten zum Monster, und – wie der Fall Vieira beweist – auch schon mal die Freundlichsten. Die ganz großen defensiven Mittelfeldspieler, die mit ungeheuerlichem Arbeitsaufwand gegnerische Angriffe im Entstehen ersticken, werden so genannt. In Spielen für seinen Verein Arsenal London hat der 23-jährige Vieira seine Qualität schon länger bewiesen, nun gilt der Franzose neben dem portugiesischen Stürmer Nuno Gomes (23) als die Entdeckung dieser EM.

Ungewollt ist Vieira ein Sieger des Streits zwischen Didier Deschamps, dem französischen Mannschaftskapitän und Monster Nummer eins, und der Presse des Landes. Weil der 31-jährige Deschamps beim FC Chelsea eine durchschnittliche Saison hinter sich hat, erklärten etliche Medien vor Turnierbeginn mit nicht immer netten Verweisen auf das Alter des Kapitäns, Trainer Roger Lemerre sollte ihn gegen Vieira austauschen. Deschamps erschien daraufhin im Trainingslager nicht zu einer Pressekonferenz, woraufhin die Presse auch nicht zu einem Gespräch mit Trainer Lemerre erschien. Tapfer halten beide Seiten auch zwei Wochen später noch in beleidigter Haltung durch.

Deschamps rennt grußlos mit Bodyguard an den Journalisten vorbei, und die Journalisten widmen Deschamps keine Zeile zu viel – und machen ihren Protegé Vieira bereitwillig noch ein bisschen besser, als er wirklich ist. Was keinen mehr empört als Vieira, das höfliche Monster.

Das heutige Halbfinale gegen Portugal in Brüssel ist Deschamps’ 100. Länderspiel, eine Marke, die noch kein französischer Fußballer erreicht hat – und von Libération bis Le Figaro wurde es gestern noch nicht einmal erwähnt. Wer war wohl statt Deschamps bei L’Equipe auf dem Titelfoto? Richtig. Nur Le Parisien widmete sich dem alten Helden. Der Kapitän werde wegen der schwindenden Form nach der EM aus der Nationalelf zurücktreten, meldete die Zeitung. Eine Bestätigung von Deschamps liegt natürlich nicht vor: Er redet ja nicht mit der Presse.

Dabei ist die Streitfrage Deschamps oder Vieira längst geklärt: Es spielen Deschamps und Vieira, die sich im Viertelfinale gegen Spanien als gewinnende Kombination erwiesen. Denn entgegen üblicher Beschreibungen sind sie nicht nur hart arbeitende Zerstörer. Sowohl Vieira als auch Deschamps sind exzellent im „Recycling“, wie das Deschamps einmal nannte: „Ich fange einen schlechten Pass des Gegners ab und wiederverwerte ihn als guten Pass für uns.“ Es ist denkbar, dass er sich wirklich aus der Nationalelf verabschiedet, sollte Frankreich Europameister werden. „Deschamps ist intelligent genug zu erkennen, wann er gehen sollte“, sagt Claude Simonet, der Präsident des französischen Fußball-Verbandes. Doch der Auftritt gegen Spanien hat bewiesen, dass er noch gut genug ist. Die Idee, ihn nicht aufzustellen, war angesichts der schwachen Saison plausibel, angesichts seines Einflusses im Team allerdings absurd. Er treffe „keine Entscheidung ohne Deschamps“, sagt Trainer Lemerre – und Vieira spricht demütig davon, dass Deschamps „sogar schon vor dem Spiel mit mir redet, um mich vorzubereiten“.

Gut möglich, dass ausgerechnet sie am Ende das Traumpaar des Turniers sind: Vieira und Deschamps – das Monster und die Putzfrau. So nannte das englische Fachmagazin Match of the day Deschamps wegen seines Fleißes auf dem Fußballfeld.

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