Italiens Knackis wollen Amnestie

Die Protestwelle gegen die Haftbedingungen hat bereits über die Hälfte der Gefängnisse erreicht. Die Parteien tun sich schwer mit der Forderung nach einem Strafnachlass. Heute berät der Rechtsausschuss des Senats, um einen Kompromiss zu finden

aus RomMICHAEL BRAUN

In unwirkliches Licht getaucht war das Gefängnis von Triest in den letzten Nächten. Stundenlang schwebten brennende Stoff- und Matratzenfetzen von den Zellenfenstern hinunter, begleitet vom infernalischen Lärm der Blechtassen und -teller, die rhythmisch gegen die Gitterstäbe schlugen. Starke Carabinieri- und Polizeieinheiten wurden vor der Haftanstalt im Zentrum der Stadt zusammengezogen, bereit zum Einschreiten gegen die Häftlinge, die das Motiv ihrer Revolte auf von den Fenstern herunterhängende Bettlaken gepinselt hatten: „Amnestie!“

Zu einem Polizeieinsatz kam es jedoch nicht – der Gefängnisdirektor selbst beeilte sich mitzuteilen, da finde ein „vollkommen friedlicher Protest“ statt. „Die leben da drin wie die Tiere“, ergänzte sein Stellvertreter voller Verständnis für die von ihnen Beaufsichtigten.

Wie ein Funke springt in Italien die Protestwelle von einer Haftanstalt zur anderen über; mittlerweile befinden sich mehr als die Hälfte der Gefängnisse im ganzen Land in Aufruhr. Seit dem Wochenende sind die Gefangenen im Hungerstreik, verweigern Arbeit, Besuche, Hofgang und Zellenreinigung, um auf die katastrophalen Haftbedingungen aufmerksam zu machen. In den 200 italienischen Gefängnissen stehen 42.000 Haftplätze zur Verfügung, doch mehr als 54.000 Häftlinge sitzen ein; allein im letzten Jahr schnellte die Zahl der Gefangenen um 4.000 nach oben.

Die Justizvollzugsanstalten stammen oft genug aus vergangenen Jahrhunderten; in runtergekommenen Zellen mit Plumpsklo im Boden drängen sich schon mal acht Gefangene. Besonders dramatisch ist die Situation der einsitzenden Drogensüchtigen und der ausländischen Häftlinge; die beiden Gruppen stellen je ein gutes Viertel der Gefangenen. Hilfe können sie nicht erwarten; in Cagliari etwa kommen auf 400 Gefangene zwei Sozialarbeiter. Auch die medizinische Betreuung ist oft genug miserabel.

Dass die Situation „dramatisch“, die Lage „explosiv“ ist, gibt selbst Giancarlo Caselli zu, Leiter der Abteilung für Strafvollzug im Justizministerium. Doch Lösungsvorschläge kamen von einer anderen Seite: vom Papst. Der feiert am 9. Juli mit einer Messe im römischen Gefängnis Rebibbia das „Heilige Jahr der Häftlinge“. Im Vorfeld regte er einen „Akt der Gnade“ an und brachte damit die aktuelle Amnestiediskussion ins Rollen. Ein Drittel der Knackis verbüßt Reststrafen von weniger als drei Jahren. Ein Strafnachlass von drei Jahren würde mithin die Situation sofort entspannen.

Obwohl aber mittlerweile Abgeordnete aus dem Regierungs- wie aus dem Oppositionslager mehrere Gesetzentwürfe vorgelegt haben, ist das Zustandekommen der für die Amnestie nötigen Zweidrittelmehrheit im Parlament keineswegs ausgemacht. Silvio Berlusconis Forza Italia befürwortet den Gnadenakt – aber nur, wenn auch die „Tangentopoli“-Delikte darunter fallen, die Delikte der politischen Korruption. Das wiederum wollen die Linksdemokraten nicht.

Doch die Hauptangst der Linken ist eine andere: Sie möchte sich im Land nicht den Ruf einhandeln, sie begegne Verbrechern mit Schwäche. Zu frisch ist der Schock des Wahldebakels, das die Regierungskoalition im April vor allem in den Regionen des Nordens erlitt. „Wenn wir jetzt die Kleinkriminellen laufen lassen, brauchen wir im Norden gar nicht mehr antreten“, verkündete Famiano Crucianelli vom Parteivorstand der Linksdemokraten noch am Sonntag.

Doch unter dem Eindruck der massiven Proteste kommt Bewegung in die Fronten. Auch der Justizminister, der Linksdemokrat Piero Fassino, hat sich nach langem Zögern nun für eine Amnestie ausgesprochen. Am heutigen Mittwoch tritt der Rechtsausschuss des Senats zusammen, um die Einigungsmöglichkeiten zwischen Koalition und Opposition auszuloten. Die Sitzung ist die womöglich letzte Chance, zu einer friedlichen Lösung des Problems zu gelangen: Sollte die Einigung nicht zustande kommen, dann droht ein Umschlagen des Häftlingsprotests vom passiven Widerstand in offene Revolte.