: Bahnhof mit sozialistischem Antlitz
Neben „Maria“ und Tempodrom gibt es am Ostbahnhof nun auch Erlebnisshopping mit Gleisanschluss: Heute ist die feierliche Eröffnung des für 63 Millionen Mark und mit viel Glas zum „modernen Verkehrsknotenpunkt“ umgebauten Bahnhofs
von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
Nomen est omen: Ganz früher hieß er Schlesischer Bahnhof, dann Ostbahnhof, später Hauptbahnhof und seit gut zwei Jahren heißt er wieder Ostbahnhof: Der Ostbahnhof. Wenn aber heute Bahnmanager und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) den für 63 Millionen Mark umgebauten Bahnhof offiziell eröffnen, wird die Rede sein von einem „modernen Verkehrsknotenpunkt“.
Der neue Ostbahnhof präsentiert sich transparent: Über der gläsernen Empfangshalle liegt ein gläsernes Dach, in der Halle hängt eine abgehängte Metallgitterdecke. Den Mittelpunkt der Halle bilden Rolltreppen, die zu Bekleidungsgeschäften und einem „Book Market“ führen, rechts und links davon stehen gläserne Einkaufspavillons. Der eine beherbergt den Blumenladen „Löwenmäulchen“, der andere Teddybären, Porzellan und Postkarten wie „Ganz Berlin ist eine Wolke“. Die Eisenskulptur in Form einer Eisenbahn, die früher Treffpunkt für Obdachlose war, ist weg, dafür grüßt wenige Meter weiter der Bundesgrenzschutz als „Railway Police“.
Etwa 50 Geschäfte – Gastronomie, Lebensmittel, Mode, Gesundheit und Dienstleistungen – sollen 110.000 Reisenden und Besuchern täglich in einer „Kernöffnungszeit“ von 8 bis 20 Uhr zur Verfügung stehen. Doch wie das so ist bei Eröffnungen – gestern war noch lange nicht alles fertig: Wer die „moderne Toilettenanlage“ suchte, musste Papierschildern „Vor der Empfangshalle/über die Straße“ folgen und fand sich vor WC-Containern wieder. An den elektronischen Abfahrts- und Ankunftstafeln passierte noch gar nichts, an einem „World Payphone“ hing ein „Out of order“-Schild. Doch einige Geschäfte waren gestern schon offen: Im Friseurladen „Haar Style“ ließen sich Kunden frisieren, in einem Wein- und Essigladen informierten sich Reisende über Trüffelöl und Caipirinhalikör. Am meisten Besucher verzeichnete McDonald’s. Der Billigbräter stellt mit seinen Öffnungszeiten bis 1 Uhr – am Wochenende sogar bis 2 Uhr – das Reisezentrum der Bahn in den Schatten. Das macht 23 Uhr dicht.
Trotz aller Modernisierung ist schon noch deutlich zu erkennen, in welchem Stadtteil der Bahnhof liegt: An einem dahinter liegenden Gebäude ist noch der Schriftzug der alten „Wechselstube“ zu sehen, wenige Meter entfernt grüßt eine uralte Tiefgarage, zu der ein wackliges Holzschild den Weg weist. Den Namenszug des Ostbahnhofs an der gläsernen Fassade sucht man indes vergebens. Sozialistische Schlamperei oder kapitalistischer Zeitdruck? Als Diepgen das letzte Mal den Ostbahnhof beehrte – 1998 zur Einweihung der ersten Hochgeschwindigkeitsstrecke in Ostdeutschland – hatten Unbekannte während seiner Rede laut die „Internationale“ gesungen. Der ebenfalls anwesende Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl dankte für diese „Spur des real existierenden Sozialismus“.
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