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Alle Macht den Räten?

■ Ist die Frage nach Entschädigung für Zwangsarbeiter ein Thema für Beiräte? Das fanden die Grünen und stellten zweimal einen Antrag. Innensenator Bernt Schulte sah das bislang anders

Reinhold Koch ging es um den symbolischen Wert: Er beantragte einen Appell des Vegesacker Beirats an die Firmen im Bezirk, die Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, sich am Entschädigungsfond zu beteiligen. Die grüne Ein-Mann-Fraktion Koch wollte handeln. Doch der Antrag droht jetzt von Innensenator Bernt Schulte (CDU) kassiert zu werden: Beiratspolitik hätte mit dem Thema nichts zu tun.

„Hier ist nichts aufgeabeitet“, fand dagegen Reinhold Koch. In seinem Antrag geht es um drei Vegesacker Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt hatten: Die Lürssen Bootswerft, die Bremer Tauwerkfabrik und Gleisstein & Sohn. Ein Beiratsbeschluss würde zwar in Punkto Zahlungsmoral nicht unbedingt viel ausrichten, aber vielleicht „in der Öffentlichkeit ein biss-chen Druck machen“, meint Koch.

Mitte Juli ist die nächste Beirrratssitzung in Vegesack. Bis dahin will das Ortsamt noch klären, ob sich der Beirat mit dem Thema befassen darf. Denn in Hemelingen wurde im März ein ähnlicher Antrag vom Innenressort mit Verweis auf fehlenden Stadtteilbezug abgelehnt. Dementsprechend könne man sich hier vielleicht „eine Menge Diskussion sparen“, meint der stellvertretende Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt. Nicht erspart bliebe ihm möglicherweise eine Debatte, „ob der Innensenator das entscheiden darf oder nicht.“

Auch beim Antrag der Grünen in Hemelingen wollte man an die Firmen im Ortsamtsbezirk appellieren, die Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, in den Stiftungsfond einzuzahlen. SPD, CDU und AFB „war die Sache wohl zu heikel“, vermutet Linde Rosenthal von den Grünen. „Das ist eine Bundesgeschichte und nichts für den Beirat“, fand dagegen die SPD. Der Ortsamtsleiter Hans-Günther Köhler sollte beim Innensenator die Rechtsfrage klären. Das Haus Schulte erklärte den Beirat prompt für nicht zuständig.

Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts würden die gesetzten rechtlichen Schranken überschritten, wenn eine Gemeinde „zu allgemeinen, überörtlichen, vielleicht hochpolitischen Fragen, Resolutionen verfasse“, und damit „der Allgemeinheit eine Last aufbürdet, oder sie allgemeinen Gefahren aussetzt“, zitiert Schultes Ressort.

Linde Rosenthal empfand die Antwort als unerhört: „Dann könnte man die politische Arbeit ganz bleiben lassen.“ Das Thema Beiratsrechte landete daraufhin auf der Tagesordnung der Bürgerschaft. Schulte erklärte diesmal auch noch, „dass dieses Thema nicht von politischer Seite gegenüber Firmen in der Öffentlichkeit diskutiert werden sollte. Dies sollte auch für Beiräte gelten.“

Das sorgte für Empörung. Schulte kassierte ein Dutzend Gegenreden. Für die Beirats-Grünen klang das nach einem „Maulkorb-Erlass“ – aus Angst, dass man damit Firmen vergrätzen könnte, kritisiert Rosenthal. „Da steht einiges auf dem Spiel“, meint auch ihr Kollege Koch in Vegesack: „Will der Beirat noch mal den Mund aufmachen oder kuschen.“

Gestern befasste sich schluss-endlich auch die Innendeputation mit den Rechten der Beiräte: Noch in der nächsten Woche will sich das Innenressort mit Ortsamtsleitern und Sprechern des Gesamtbeirats treffen, um eine „programmatische Lösung“ zu finden. Vielleicht darf Kochs Antrag dann auf der Tagesordnung des Beirats bleiben.

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