: Vom Elend der Konterrevolutionäre
Régis Wargniers Film „Est – Ouest“ führt den Kalten Krieg mit französischen Stars und luxuriösen Bildern weiter
Im Grunde wusste man schon seit „Indochina“, wo der Hase lang läuft. Da flanierte Catherine Deneuve im schicken weißen 50er-Jahre-Hosenanzug über riesige Plantagen und wurde von ihren freundlichen kambodschanischen Bediensteten angebetet. Ein Segen für das unterentwickelte Land – wäre da nicht dieser verflixte Krieg ausgebrochen, der alle Franzosen hinausfegte. Mit „Indochina“ empfahl sich der französische Regisseur Régis Wargnier als revisionistischer Spezialist fürs Pittoreske; als Nostalgiker, für den die Kolonialgeschichte allenfalls glamouröser Anlass ist, um schöne Frauen durchs Bild spazieren zu lassen.
Am Anfang seines neuen Films stand eigentlich eine andere Idee: Catherine Deneuve sollte in einem zentralasiatischen Western als französische Diplomatin durch Turkmenistan und Kirgisien reisen und ein Rassepferd suchen. Schade, dass daraus aus finanziellen Gründen nichts geworden ist. Jetzt hat Deneuve in „Est – Ouest – Eine Liebe in Russland“ eine winzige Rolle, und statt durch Steppen und zerklüftete Abenteuerlandschaften fährt die Kamera über die abgeblätterte Tapete einer hässlichen sowjetischen Gemeinschaftswohnung.
Es geht um die Geschichte der in den Westen emigrierten Russen, die nach Stalins Appell von 1946 am Wiederaufbau der UdSSR teilnehmen wollten, dort aber großteils als Konterrevolutionäre verfolgt wurden. Bei Wargnier werden die ersten idealistischen Einwanderer bereits auf der Gangway des gerade anlegenden Schiffes erschossen – kein Zweifel also, dass jetzt ein für alle Mal Schluss mit lustig ist. Auch Marie (Sandrine Bonnaire) und Alexej (Oleg Menschikow), eine russisch-französische Kleinfamilie samt Söhnchen verlieren augenblicklich alle Hoffnung. Die drei werden nach Kiew deportiert, wo er als Betriebsarzt zum Musterheimkehrer aufgebaut wird, während sie in der überbelegten Gemeinschaftswohnung unter den schlechten sanitären Verhältnissen und allerlei Denunzianten leidet.
Bonnaire als hohlwangige heilige Johanna der Freiheit, die nebenbei noch heimlich einen olympiareifen Schwimmer ausbildet, Deneuve als französische Diva, die bei ihren Gastspielen konspirative Briefchen entgegennimmt, Menschikow als opferbereiter Gatte, der seinen Freiheitsdrang heldenhaft verbirgt – als postsozialistische Abrechnung mit dem Kommunismus wirkt Wargniers luxuriöse Bebilderung sowjetischen Elends (man sieht die Ausstatter geradezu vor sich, wie sie Löcher in Tischdecken schneiden und Türen mit Rost beträufeln) wie ein verwirrter Spätausläufer des Kalten Krieges. KATJA NICODEMUS
„Est – Ouest“. Regie: Régis Wargnier. Mit Sandrine Bonnaire, Oleg Menschikow u. a. Frankreich 1999, 120 Min.
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