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Der Plan des Löwen

In Afghanistan rührt sich der Widerstand gegen die Regierung der Taliban. Von Pakistan aus bastelt auch ein Ex-General bereits an Aufstandsplänen

aus Peshawar JAN HELLER

Selbstsicher sitzt General i. R. Anwar Sher auf seinem Sofa, eingerahmt von diversen Pokalen, einem Ölschinken mit röhrendem Hirsch und einem Porträt, das ihn als jungen Offizier in voller Gala zeigt. Eine Teekanne und ein Ventilator, unerlässlich in der sommerlichen Hitze von Peshawar, vervollständigen das Bild.

Peshawar, die pakistanische Grenzstadt am Fuß des legendären Khyber-Passes, ist das Mekka der afghanischen Diaspora und General Sher („der Löwe“) ihr jüngstes Stadtgespräch. Denn vor dem weißhaarigen, eloquenten Ex-Militär, kaum 1,60 Meter hoch, aber fast genauso breit, einer Mischung aus Erich Mielke und Omar Sharif, zittern die Taliban in Afghanistan. Die USA, und unter ihrem Druck auch Pakistans Militärregierung, haben genug von deren terroristischen Querverbindungen und suchen in der paschtunischen Mehrheitsbevölkerung Afghanistans nach Alternativen zu der Koranschüler-Bewegung.

General Anwar Sher ist Paschtune aus Pakistans Nordwest-Grenzprovinz. Er habe seine Kontakte zu den Stämmen jenseits der Grenze aus der Zeit des Krieges gegen die Sowjets in den 80er-Jahren belebt, sagt er, und sie auch auf andere Volksgruppen – Tadschiken, Usbeken, Hazara – ausgedehnt. Er behauptet, Kontaktleute in allen 377 Distrikten Afghanistans zu haben. „Nationaler Islamischer Friedensrat der Stämme Afghanistans“ nennt sich seine Kreation.

Auf sein Signal hin, verkündet der General, werden sich überall in Afghanistan Stammesälteste und angesehene Bürger an die Spitze eines Aufstands gegen die Taliban stellen. Ihre Gefolgschaft werde sie kurzerhand entwaffnen. Wer sich den Ältesten widersetzt, wird aus dem Stamm verstoßen. Es gibt keine größere Strafe für einen Paschtunen.

Doch bisher weiß niemand, was Wahrheit und was Dichtung an Anwar Shers Plan ist. Ob er auf eigene Faust handelt, wie er sagt, oder Rückendeckung von „ganz oben“ oder vom fast allmächtigen Militärgeheimdienst ISI besitzt. Anders ist kaum vorstellbar, dass Sher bisher unbehelligt seine Pläne verbreiten kann. Er erzählt, dass die Hälfte der jetzigen Militärregierung in seinen Vorlesungen an der Militärakademie gesessen habe.

Derweil wird, wie Marx sagte, „die Idee zur materiellen Ge-walt, wenn sie die Massen ergreift“ – oder, in diesem Fall, das Gerücht. Denn so lange die Antwort auf die Frage nach Shers wirklicher Stärke offen ist, geben sich US-, aber auch andere Diplomaten, Journalisten und Afghanen aus dem In- und Ausland bei ihm die Klinke in die Hand.

Die bloße Möglichkeit, an dem Aufstandsplan könnte etwas dran sein, macht auch die Taliban nervös. Denn sie sehen sich bereits internem Zwist sowie zunehmendem Widerstand gegenüber. Selbst ihre eigentliche Basis, die Paschtunen-Stämme, widersetzen sich immer mehr ihren Zwangsaushebungen. Ende letzter Woche jagte die Bevölkerung Kajakis, nicht weit vom Taliban-Zentrum Kandahar entfernt, eines der Rekrutierungskommandos aus dem Ort und erschoss acht Taliban. In den Ostprovinzen Paktia, Paktika und Khost greift eine Bewegung um sich, die Ex-König Muhammad Zaher Shah wieder ins Land holen will. Laut Hilfsorganisationen gehören selbst Familienmitglieder hoher Taliban dazu.

Eine koordinierte Aktion der Stämme könnte die Taliban auf einen lokalen Machtfaktor um Kandahar reduzieren – ein „zweites Panjshir“, wie Sher mit Blick auf den Taliban-Gegner Ahmad Shah Masud stichelt, dessen Einflussbereich kaum noch über sein Heimat-Tal hinausreicht. Zudem passt Sher Anwars Plan zu Intentionen der USA. Ihnen sind die Taliban nun mehr als ein Dorn im Auge, weil sie dem internationalen Islamistenchef Usama bin Laden Asyl gewähren und in den internationalen Drogenhandel verwickelt sind.

Unter ihrem Druck scheint auch Pakistan mittlerweile genötigt, auf Distanz zu den Taliban zu gehen. Während Militärregent General Pervez Musharraf in den letzten Wochen mehrmals nach außen hin die Freundschaft mit den Taliban beschwor – eine Geste in Richtung der erstarkenden pakistanischen Islamisten –, drückt Pakistans Führung hinter den Kulissen auf die Koranschüler-Bewegung. Islamabad befürchtet, angesichts der deutlichen US-Hinwendung zu Indien, als Unterstützer der rückwärts gewandten Truppe international ebenfalls isoliert zu werden, und das angesichts einer endemischen Wirtschaftskrise.

So hat Musharraf keine Wahl. Oder doch? Eine Schein-Enttalibanisierung Afghanistans unter pakistanischer Führung – nämlich General Anwar Shers –, die mit einer Auswechslung der zunehmend autokratischen Taliban-Galionsfigur Mulla Muhammad Omar einherginge, der Verwandlung der Taliban in eine „neue“ paschtunische Bewegung, die vielleicht sogar Usama bin Laden ausliefern würde, könnte die gefährdete US-pakistanische Allianz sichern. Und Pakistans Einfluss auf Afghanistan.

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